Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

XXIX. KAPITEL 
Gesellschaftliches Leben in Wien + Volksgarten und Prater - Kuraufenthalt in Montreux 
und San Remo » Versetzung als Geschäftsträger nach Athen - Weihnachten auf Korfu 
Paxos » Übernahme der Dienstgeschäfte in Athen 
n unserer Botschaft in Wien begegnete ich zum zweitenmal der Gräfin 
Marie Dönhoff, deren wundervolle Augen ich gerade ein Jahr vorher Der Salon 
in Florenz aus der Ferne bewundert hatte. Damals würdigte sie mich keines der Gräfin 
Wortes. Jetzt sahen wir uns öfter. Ihr Gatte war Erster Sekretär der Bot- Perkef 
schaft, zu deren Zweitem Sekretär ich ernannt worden war. Ich beobachtete 
mit Erstaunen, daß sie, die in meinem Alter stand, also in der ersten Jugend, 
geistig weit über ihre Jahre gereift war. Für deutschen Geist und deutsche 
Literatur besaß sie, die Italienerin, ungewöhnliches Verständnis. Sie kannte 
Goethe besser, als ihn die meisten deutschen Frauen und selbst viele 
deutsche Männer kennen. In meinen Lieblingsphilosophen, in Schopenhauer 
war sie tiefeingedrungen. Von allen Seiten hörte ich ihre geniale musikalische 
Begabung rühmen. In dieser Beziehung durfte ich mir kein eigenes Urteil 
erlauben, da ich leider ganz unmusikalisch bin. Aber ich fühlte und begriff, 
daß das ganze Wesen dieser seltenen Frau Musik war. Der Mut, mit dem sie 
für die damals gerade in Wien viel und gehässig angefeindete Bayreuther 
Sache und den großen Meister von Bayreuth eintrat, imponierte mir. 
In ihrem ohne auffälligen Luxus, aber mit feinstem künstlerischem Ver- 
ständnis eingerichteten Salon begegnete ich interessanten Leuten. Hier 
lernte ich den Dichter Adolf Wilbrandt kennen, der mir später ein 
Freund für mein ganzes Leben werden sollte. Hier begegnete ich zuerst 
Lenbach, dem großen Maler und guten Menschen. Hier sah ich den da- 
mals schon mehr als siebzigjährigen Gottfried Semper, den aus- 
gezeichneten Architekten, dem Wien seine neuen Museumsbauten verdankt. 
Als Gottfried Semper, Richard Wagner und Gyula Andrässy hier einmal 
zusammen zu Tisch geladen waren, stießen sie mit bedeutungsvollem 
Lächeln mit ihren Gläsern an. Sie waren alle drei 1849 zum Tode verurteilt 
worden, Wagner und Semper in Dresden, Andrässy in Arad. Hier traf ich 
den an Wuchs kleinen, an koloristischer Begabung als Maler und an 
Originalität großen Hans Makart. Er war Salzburger wie Mozart, aber Makarı
	        
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