Die Normannen. 101
Die nachgeborenen Soͤhne der Normannen hatten keine andere Wahl
als das Leben eines Kriegers und Räubers; das väterliche Gut erbte
nämlich immer der erstgeborne Sohn, ein jüngerer erhielt eine Waffen-
rüstung und, gehörte er etwa einem reichen Vater an, ein Schiff dazu,
auf welches er nun junge Leute seinesgleichen und andere Krieger einlud,
um mit ihnen nach Raub auszufahren. Dies geschah im Frühjahr, im
Herbste kehrte man mit der Beute heim, feierte das große Julfest mit
(Wintersonnenwende), erzählte beim Gelage die bestandenen Abenteuer
und verabredete die Fahrten für die nächste schöne Jahreszeit. Nach
nordischen Erzählungen zwang auch manchmal förmliche Hungersnoth
einen Theil der streitbaren Mannschaft die Schiffe zu besteigen und vom
Raube zu leben, und wohl noch öfter warfen sich in den einheimischen
Kriegen die Schwächeren oder Besiegten auf das Meer, indem sie es
verschmähten einem Mächtigeren gezwungen zu gehorchen.
Daß aber gerade nach Beendigung der Sachsenkriege Karls des
Großen die Wickinger (so hießen die normannischen Räuber, von Wick
d. h. Meerbusen) in großen Schwärmen unter „Seekönigen“ ausfuhren
und vorzugsweise die fränkischen Küsten heimsuchten, daran waren wohl
vorzüglich ausgewanderte Sachsen schuldig, welche für ihren Haß gegen
Frankenherrschaft und Christenthum bei den Normannen die empfänglich-
sten Gemüther sinden mußten. Odin und die Asen sollten nicht mehr
walten, der Heldensaal in Asgard nicht mehr bestehen, die Wickinger
keine Küste mehr heimsuchen dürfen, wenn auf derselben das Kreuz auf-
gerichtet ist, kein Julfest mehr feiern, sich nicht mehr des vergossenen
Blutes freuen, sie sollten Tod und jüngstes Gericht fürchten, wohl gar
wie die Sachsen den Kirchen den Zehnten entrichten und neue Gesetze
empfangen! Die Normannen mußten das Christenthum hassen, weil es
von ihnen verhältnißmäßig dieselben Opfer verlangte wie von den alten
Römern, nämlich die Umkehr der ganzen Denk= und Lebensweise, und
Karls des Großen Vorschreiten bis an die Eider und Ostsee erschien
ihnen, keineswegs mit Unrecht, sehr bedrohlich.
Angriffe auf Deutschland und Frankreich. St. Ansgar.
Schon 808 griffen sie seine Bundesgenossen, die Obotriten an, 810
Friesland, zogen sich aber zurück, als sie des Kaisers Anwesenheit ver-
nahmen; die Sage läßt ihn beim Anblicke der normannischen Schiffe
weinen, weil er im Geiste alles kommende Unheil vorausgesehen habe.
Unter Ludwig dem Frommen erschien 836 ein Schwarm Wickinger in
der Schelde und verbrannte Antwerpen, obwohl der Kaiser durch die
Unterstützung des dänischen Königs Harald gegen Prätendenten so viel
Einfluß gewann, daß christliche Glaubensboten auf dänischem Boden Zu-
tritt und Schutz fanden. Unter ihnen zeichnete sich besonders der hl.