Kaiser Ludwig l., der Fromme. 79
er mit Ludwig in die Kirche zu Aachen, die er selbst gebaut hatte, legte
seine Krone auf den Altar und betete lange. Dann erhob er sich und
ermahnte seinen Sohn vor allem Volke, immer Gerechtigkeit zu üben,
die Schwachen zu schützen und die Kirche zu schirmen. „Versprichst du
es mir?“ fragte er. Ludwig versprach es weinend. „Nun, so setze dir
die Krone auf.“ sagte der tief bewegte Greis. Nicht lange darauf befiel
ihn ein heftiges Fieber und er hauchte seine Seele aus am 28. Jannar
814 mit den Worten: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“
Er wurde in der Marienkirche im kaiserlichen Ornate begraben, wie die
Sage erzählt sitzend auf goldenem Sessel, die Krone auf dem Haupte,
das Kaiserschwert umgegürtet, das Evangelium auf den Knieen, an der
Seite eine Pilgertasche. Als Kaiser Otto III. im Jahre 1000 das
Grab öffnete, zeigte sich seine Leiche noch ganz erhalten und unverwesen.
Später, zur Zeit deutscher Erniedrigung, ist sie von den Franzosen
beraubt und entehrt worden; ein Stein mit der Inschrift: „Carolus
Magnus“ bezeichnet die Stelle, wo die Leiche des ersten deutschen
Kaisers ruhte.
Bweites Mapitel.
Kaiser Ludwig I., der Aromme (814—840).
Ludwig war ein für die damalige Zeit sehr gebildeter Mann, dreier
Sprachen mächtig, strengsittlich, von riesenstarkem Körper wie sein Vater,
jedoch nicht kriegsliebend, andächtig und aus dem königlichen Gute ein
freigebiger Wohlthäter der Stifte, wofür er den Beinamen „der
Fromme“ erhielt, von sanftem Gemüthe, obwohl leicht reizbar; aber es
mangelte ihm der Scharfblick und die Kraft seines Vaters, welche zur
Beherrschung seines Reiches nothwendig waren. Gleich im Anfange
seiner Regierung verlieh er zahlreichen Stiften Abgabenfreiheit und ent-
band ihre Lehensleute von der Verpflichtung zum Heerbanne; er milderte
auch im Allgemeinen diese Verpflichtung und brach dadurch die Wehr-
verfassung, die sein Vater dem Reiche gegeben hatte. Durch die Er-
theilung von Privilegien an die geistlichen Herren reizte er die weltlichen,
die gleichen Vorrechte zu verlangen, wodurch die königliche Macht nicht
minder Schaden litt als die Freiheit der Gemeinen, indem diese bei
der wachsenden Macht der adeligen Herren vielfach keinen anderen Weg
mehr fanden, um sich vor Bedrückungen zu sichern, als daß sie sich dem
Schutze eines Herrn unterstellten.