88 Das heilige römische Reich deutscher Nation.
Heere zur Verzweiflung gebrachten Bauern in Gallien sich empörten
(Bagaudae)), so schlugen sich in Westfranken, wo Karl der Kahle außer-
ordentliche Abgaben erpressen mußte und zudem noch die Münze ver-
schlechterte, viele auf Seite der einfallenden Normannen, zeigten ihnen
die Wege und blieben nach deren Abzug als Raubgesindel eine Landplage.
Als Karl der Kahle vor seinem Neffen Karlmann aus Jtalien
floh, wohin er dem Papst zu Hilfe kommen wollte, starb er unerwartet
schnell (Oktober 877) zu Brias in Savoven; wie es damals zu ge-
schehen pflegte, daß bei plötzlichen Todesfällen hoher Häupter einer der
Blutsverwandten oder der Großen durch dunkle Gerüchte des Mordes
geziehen wurde, so lief auch bei Karls Ted das Gerede um, er sei durch
seinen jüdischen Leibarzt Zedekias vergiftet worden, begreiflich im Dienste
eines Karolingers; dieser Argwohn des Volkes beweist immerhin, welche
Gesinnungen und Thaten es damals seinen Großen zutraute.
Fortdauer der Normannenkriege und Aufstände (879—987).
Karls des Kahlen Sohn und Nachfolger, Ludwig II., der Stamm-
ler, starb schon 879; ihm folgten seine sugendlichen Söhne Ludwig III.
und Karlmann, welcher letztere Burgund und Aquitanien verwalten
sollte. Beide waren kriegerische Fürsten und schlugen am 30. November
879 die Normannen; Ludwig lll. siegte im Juli 881 bei Saulcourt in
der Pikardie ebenfalls vollständig (das von einem fränkischen Geistlichen
gedichtete Ludwigslied ist eines der schönsten Denkmäler der althochdeutschen
Sprache), batte jedoch bereits 880 an den jüngeren deutschen Ludwig West-
lotbringen abtreten müssen, konnte den Abfall Burgunds (s. unten) nicht
hindern und starb schon 882; sein Bruder Karlmann siegte 882 über
die Normannen, verlor aber im folgenden Jahre eine Schlacht und er-
kaufte zwölfjährigen Frieden mit schwerem Gelde; er starb 884 an einer
auf der Eberjagd durch Zufall oder Bosheit empfangenen Wunde.
Zwar lebte noch ein nachgeborner Sohn Ludwigs des Stammlers,
Karl (später der Einfältige zubenannt); aber da die Normannen ihre
Verwüstungen immer weiter ausdehnten, boten die Großen dem deutschen
Karolinger Karl dem Dicken die Krone an. Dieser griff mit beiden
Händen nach ihr; aber 886, als ein Normannenheer Paris (damals
auf die Insel der Seine beschränkt) bedrängte, wußte er sich nicht an-
ders zu helfen, als daß er den Abzug der Räuber mit Geld erkaufte.
Deßwegen zäblen ihn manche Franzosen gar nicht in der Reihe ihrer
Könige auf, zumal 888 der Graf Odo von Paris, welchem die Stadt
ihre Rettung gegen die Normannen verdankte, von der Mehrzahl der
Großen zum König erwählt wurde. Dieser Held erfocht bald einen
neuen Sieg über die Normannen, räumte auch den jungen Karl nicht
aus dem Wege (was damals nicht überrascht hätte), und selbst als dieser