Full text: Die Weltgeschichte. Dritter Theil. Die neue Zeit. (3)

286 Zeitalter der Revolution. 
ihnen gegenüber fast rechtlos, da nicht einmal die Heberollen veröffent- 
licht wurden. Die Anträge Turgots schetterten an dem Einflusse der 
privilegierten Stände, welche ihre Steuerfreiheiten nicht aufgeben wollten. 
Es sollten tiefgreifende Ersparungen im Hofhalte gemacht werden; dage- 
gen hatte der König nichts, aber die Königin Marta Antonia (Ma- 
ria Theresias schöne, tugendhafte und geistreiche Tochter, fünfzehnjährig 
an Ludwig XVI. den 30. Mai 1770 vermählt als Unterpfand des fran- 
zösischen Bündnisses) begriff in jener Zeit den Ernst der Lage noch nicht 
und wollte nichts hören, wenn die Minister von Verbesserungen und Er- 
sparnissen redeten, da sie von anderer Seite her ganz anders berichtet 
wurde; und doch bezog allein der Hofadel jährlich 28 Millionen an 
Pensionen, hatte der König für seinen Bruder, den Grafen von Artois, 
später Karl X., einen übermüthigen Verschwender, binnen drei Jahren 
7½ Millionen Schulden bezahlt und dessenungeachtet blieben noch 14 
Millionen unbezahlt. Auch an die Umschaffung des Gerichtswesens 
wollte das Ministerlum Hand anlegen; es beantragte die Abschaffung der 
Haftbriefe (lettres de cachet), welche von der Regierung an Beamte, 
Bischöfe, Adelige u. s. w. jährlich ausgegeben wurden und dem Vor- 
zeiger die Macht gaben, eine bestimmte Person ohne Angabe der Gründe 
verhaften zu lassen. Es bestand außerdem in Frankreich eine gerichtliche 
Aristokratie; die Richterstellen waren nämlich alle käuflich, der Staat 
verzinste dem Käufer die einbezahlte Summe und darin bestand der 
größere Theil seines direkten Einkommens, da die Besoldungen nur ge- 
ring waren. Auf der einen Seite war durch diese Käufe die Staats- 
schuld um 300 Millionen Franken vermehrt, andererseits waren die Stel- 
len erblich geworden und es hatte sich die richterliche Gewalt in einzel- 
nen Familien konzentriert, die einen Schwelf von Advokaten und Schreibern 
nachzogen. Gegen dieses Uebel sollte ein allgemeines Gesetzbuch helfen, 
das nach und nach geschaffen werden mußte. Daß das Ministerium den 
Protestanten volle Religionsfreiheit geben, die Rechte der Geistlichkeit be- 
schränken und den öffentlichen Unterricht heben wollte, brachte die Rich- 
tung der Zeit mit sich; wie weit es aber in dieser Hinsicht gegangen 
wäre, läßt sich nicht bestimmen. Der Kriegsminister St. Germain, sonst 
ein dem preußischen Militärsystem blind ergebener Mann, wollte die be- 
vorzugten Korps den anderen Truppen der Armee gleichstellen und die 
Zahl der Offiziere beschränken, denn die Armee zählte 60,000 derselben, 
er wollte auch die Käuflichkeit der Offiziersstellen abschaffen u. s. w. 
Frankreich war damals in Provinzen getheilt, z. B. Burgund, Lyonnais, 
Dauphiné, Provence, Artois, Normandie u. s. w., welche durch Mauth- 
linien von einander getrennt waren; letztere sollten fallen sowie alle 
Beschränkungen des inneren Verkehrs. Von diesen Reformen, welche 
den französischen Staat vielleicht friedlich umgewandelt hätten, trat nichts.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.