Full text: Die Weltgeschichte. Dritter Theil. Die neue Zeit. (3)

Flucht der königlichen Familie. 293 
meinderath von Paris; die Abgeordneten des Heeres und der National= 
garde standen unter ihren Fahnen. Der Bischof von Autun, der später 
so berühmt und berüchtigt gewordene Diplomate Talle yrand, bestieg 
den Altar im bischöflichen Gewande, und 400 Priester, angethan mit 
weißen Chorhemden und mit dreifarbigen Gürteln geschmückt, stellten 
sich an die vier Seiten des Altares. Der Blschof hielt feierliche Messe, 
segnete hierauf zuerst die Ortslamme (die Reichsfahne) und darauf die 
Fahnen der 83 Departements. Alsdann trat bei feierlicher Stille La- 
fayette hervor, der zum Oberbefehlshaber aller Nationalgarden ernannt 
worden, und leistete den Bürgereid; nach ihm schwuren der Präsident 
der Nationalversammlung und alle Deputierten. Der Ruf: „e6 lebe 
die Nation! es lebe der König!“ mischte sich in den Donner des Ge- 
schützes und das Schmettern der Militärmusik. Nun erhob sich der Kö- 
nig und sprach: „Ich, König der Franzosen, schwöre alle mir durch die 
Verfassung übertragene Macht anzuwenden, um die von der National= 
versammlung beschlossene und von mir angenommene Verfassung aufrecht 
zu erhalten.“ Die Königin nahm den Dauphin auf die Arme, zeigte 
ihn dem Volke und sprach: „Das ist mein Sohn, er vereinigt sich mit 
mir in denselben Gesinnungen.“ Da senkten sich alle Fahnen, ungeheu- 
rer Zuruf erscholl und ein Danklied beschloß das Schauspiel. Denn 
mehr als ein Schauspiel war es nicht: ein ungläubiger Geistlicher feierte 
die Messe, republikanische Abgeordnete schwuren dem König, ein durch 
die Bevölkerung der Stadt Paris gefangener König legte den Eid auf 
eine Verfassung ab, die ihm aufgezwungen war, ein slatterhaftes Volk 
gelobte Treue, und der mordsüchtige Pöbel schrie: „es lebe der König!"“ 
Tlucht der königlichen Tamilic (den 20. Juni 1791). 
Der 14. Juli brachte auch nur kurzen Aufschub; bald darauf entzog 
die Nationalversammlung dem Könige das Begnadigungsrecht, den Be- 
sitz von 8 Schlössern, das Recht Krieg zu erklären, und endlich verbot 
sie ihm sich mehr als 20 Stunden von der Hauptstadt zu entfernen. 
Daneben bearbeiteten Vereine das Volk (unter ihnen ist der Klub der 
Jakobiner berüchtigt geworden), um einen vollständigen Umsturz her- 
beizuführen. Die Jakobiner hatten in allen Städten, selbst in den mei- 
sten Dörfern ihre Zweigvereine; wie in Paris die Pickenmänner der 
Vorstädte in ihrem Dienste standen, so hatten die Zweigvereine in den 
Städten und den Departements verwegene Menschen in ihrem Solde, 
die zu allem bereit waren. Durch Gerüchte und Lügen von Unterneh- 
mungen gegen die Freiheit, gegen Volkslieblinge, gegen Frankreich u. s. w. 
wurde zuerst die Bevölkerung verwirrt und in wilde Unruhe versetzt, so 
daß kein Beamter einschreiten durfte, wenn er nicht als Volksverräther 
geächtet sein wollte; war so die Macht des Gesetzes in einer Stadt
	        
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