Deutschland und Oesterreich. 459
Herzog von Orleanszum Reichsverweser; auch die Nationalgarde
kam am Schlusse des Kampfes, den die Proletarier hatten durchfechten
dürfen, zum Vorschein, wählte den alten Lafayette zum Anführer und
verhütete durch gute Worte und schöne Versprechungen, daß von dem
gemeinen Volke weder die Republik noch Napoleon II. ausgerufen wurde.
Achtes Kapitel.
Deutschland und Oesterreich von 1815— 1830. Die Bundesakte. Getäuschte
Erwarkungen. Burschenschasten.
Kein Volk hatte im Kampfe gegen Napoleons Tyrannel mehr
Opferwilligkeit und Begeisterung gezeigt als das deutsche, von keinem
andern wurde Streit und Sieg mit so viel Sang und Klang beglettet als
von dem deutschen, dessen zahlreiche Dichter (Göthe wenigstens nachträg-
lich) in Kriegsliedern, Aufrufen, geharnischten Sonetten, in Triumph=
und Spottliedern dem Patriotismus die Sprache der Poesie liehen,
keines sollte aber durch den Frieden mehr ernüchtert werden, als gerade
das deutsche. Daß von der „Wiedergeburt eines ehrwürdigen Reiches“,
welche die Proklamation von Kalisch verheißen hatte, auf dem Kongresse
zu Wien keine Rede mehr war, konnte niemanden befremden, da sie
als baare Unmöglichkeit erscheinen mußte, weniger durch die Gegenwir-
kung des Auslandes, als wegen des Widerstrebens der einzelnen Theile
des vielgestaltigen Deutschlands gegen eine gemeinschaftliche Oberherr=
lichkeit, ein Widerstreben, das sich durch die ganze deutsche Geschichte
hinzieht, durch die Reformation neue Wurzeln trieb und von 1792 bis
1813 befestigt wurde. Als daher den 8. Juni 1815 die deutsche
Bundesakte abgeschlossen war, deren weitere Vervollständigung zu-
gesagt wurde, war die mögliche Einigung Deutschlands gesichert, indem
in einer Bundesverfassung der innere Frieden aufrecht erhalten werden
und die Freiheit der einzelnen Staaten in Gesetzgebung, Staatshaus-
halt und in der Pflege der geistigen Entwicklung recht wohl bestehen
kann, während gleichzeitig die Aegide der Bundesverfassung die einzelnen
Staaten an eine gemeinsame Politik gegen das Ausland bindet und die
nationalökonomischen Interessen (Münze, Maß, Gewicht, innerer Ver-
kehr, Handelsgesetze, Zollwesen) gegen eigennützige oder unkluge Maß-
regeln der Einzelstaaten sowie gegen Uebervortheilung durch das Aus-
land in Schutz nimmt. Ein solcher deutscher Bund ist allerdings nicht
geeignet, der allgemeinen Politik treibende Impulse zu geben, er ge-
währt vielmehr die Bürgschaft eines dauernden Friedens, und wenn