Full text: Die Weltgeschichte. Dritter Theil. Die neue Zeit. (3)

478 Die Zeit von 1815 bis 1847. 
verhältnisse jedoch nicht aus den Fugen, indem ihr von den europätschen 
Mächten erlaubt wurde, aus einem Königreiche zwei zu machen. Das 
zur Beschwörung des Revolutionssturmes und damit zur Erhaltung des 
allgemeinen Friedens dargebrachte Opfer war das 1814 geschaffene 
Königreich der vereinigten Niederlande. 
Dasselbe war unstreitig einer der schönsten Staaten Europas, stark 
genug durch eine Bevölkerung von 6 Millionen Einwohner, die zahl- 
reichen Festungen, den natürlichen Schutz durch Meer und Ströme, sich 
gegen den Angriff auch einer Großmacht zu halten; durch trefflichen 
Ackerbau und eine höchst entwickelte Industrie, durch Kolonieen in drei 
Erdtheilen und blühenden Seehandel vereinigte es alle Bedingungen in 
sich, die sonst einen Staat reich, angesehen und mächtig, oder, wie man 
zu sagen pflegt, glücklich machen. In der That hob sich die Industrie 
der südlichen Provinzen zusehends, der Kolonialbesitz erweiterte sich auf 
den großen ostindischen Inseln zu einem Reiche, das den Verlust einzel- 
ner westindischen Inseln und des Kaps mehr als zehnfach aufwog; die 
Produktion der Kolonieen steigerte sich beispiellos und fand besonders 
in Deutschland immer guten Absatz. Die niederländische Handelsflotte 
kam bereits der französischen gleich, neben Amsterdam und Rotterdam 
hob sich der Verkehr Antwerpens an der nun geöffneten Schelde zu 
einer Blüte, die an die Zeit Kaisers Karl V. erinnerte. Dessenunge- 
achtet widerstrebten sich die südlichen und nördlichen Provinzen schon von 
dem Tage ihrer Vereinigung an und stellten sich die alten Gegensätze, 
welche 1579 durch die Utrechter Union und den Vertrag von Mons die 
Niederlande getheilt hatten, in wenig gemilderter Schroffheit neben ein- 
ander. Die Verfassung, welche König Wilhelm I. 1814 den holländischen 
und belgischen Notabeln vorlegte, wurde von jenen fast einstimmig angenom- 
men, von diesen mit großer Mehrheit verworfen und die endliche An- 
nahme nur durch eine künstlich kombinterte Mehrheit zu Stande gebracht. 
Die Belgier erhoben die begründete Klage, welche auch bis zur 
Auflösung des Königreichs fortdauerte, daß in Sachen der Religion und 
des Unterrichts die Rechte der katholischen Kirche verletzt selen; sie be- 
schwerten sich, daß die nördlichen Provinzen 55 Repräsentanten im 
Stämdeale zählten wie die südlichen, denen nach dem Maßstabe der 
Bevölkerung eigentlich 68 zukämen; daß sie die Last der Staataschuld, 
an deren Kontrahirung die nördlichen Provinzen als Generalstaaten, als 
batavische Republik und als Königreich Holland ausschließlich betheiligt 
gewesen wären, gemeinschaftlich zu tragen hätten; als die größte Krän- 
kung endlich wurde es empfunden, daß die holländische Sprache zur 
Nationalsprache erhoben wurde, daß unter 7 Ministern nur 2, unter 
45 Geheimräthen nur 18 Belgier waren. Diese Gegensätze und Miß- 
verhältnisse verloren trotz der fortschreitenden materiellen Entwicklung
	        
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