Full text: Die Weltgeschichte. Dritter Theil. Die neue Zeit. (3)

Polen russische Provinz. 483 
lution, die Masse der Nation nahm an derselben nur so viel Antheil, 
als sie mußte, d. h. sie stellte Rekruten und lieferte die verlangten Re- 
quifitionen, weil sie keine andere Wahl hatte. Chlopicki und andere 
hohe Offiziere, welche Rußlands militärische Stärke kannten, verlangten 
deßwegen Unterhandlungen mit dem Kaiser, und wirklich ging eine De- 
putation nach St. Petersburg, welche aber als solche von dem Kaiser 
gar nicht angenommen wurde. Er bestand auf unbedingter Unterwer- 
fung, befahl Chlopicki die Armee nach Plock zu führen, dem Administra- 
tionsrath die Regierung wieder zu übernehmen; den Schuldigen drohte 
er mit unausbleiblicher Strafe, verwies die Masse auf seine Milde und 
bewährte Großmuth. Der Reichstag, der gegen des Diktators Willen 
seine Sitzungen am 18. Dezember eröffnet hatte, wollte von weliteren 
Unterhandlungen nichts wissen, worauf Chlopicki als Diktator und Ober- 
befehlshaber abdankte, der Reichstag aber eine provisorische Regierung 
und in dem Fürsten Michael Radziwyl einen Oberbefehlshaber er- 
nannte. Am 25. Januar 1831 beschloß er mit beträchtlicher Mehrheit 
die Ausschließung des Hauses Romanow von dem polnischen Throne 
und brach damit die Brücke zur Versöhnung mit dem Kaiser vollends 
ab. Das Schwert konnte fortan allein entscheiden, und wie die Ent- 
scheidung ausfallen mußte, darüber konnte sich kein Besonnener eine 
Täuschung machen. Die polnische Armee war ungefähr 60,000 Mann 
stark und führte höchstens 130 Geschütze; wenn demnach eine einzige 
Schlacht verloren wurde, so konnte die Armee das Feld nicht mehr hal- 
ten und ihre Verluste eben so wenig durch Rekruten ergänzen, sowohl 
weil diese bei einer verloren gegebenen Sache nichts taugen, als auch an 
Rekrutierungen überhaupt nicht zu denken ist, wenn der Feind Meister 
des Gebietes wird. Von Frankreich und England war keine Hilfe zu 
erwarten, weil diese mit Belgien befriedigt wurden und keinen allgemei- 
nen Krieg zu wagen bereit waren, der Polen doch nicht gerettet hätte; 
denn Oesterreich und Preußen, welche starke Armeekorps an ihren pol- 
nischen Gränzen zusammengezogen hatten, wären im Bunde mit Ruß- 
land des polnischen Aufstandes schnell Meister geworden, konnten sich 
aber willig zu der von Frankreich geforderten Neutralität verstehen und 
die Bewältigung des Aufstandes durch die russische Armee abwarten, die 
ihnen dann jedenfalls als Reserve nachrückte, wenn Louis Philipp doch 
später durch seine Pariser zum Kriege genöthigt würde. Rußland durch 
die Wiederherstellung Polens einen Damm zu setzen, wozu damals deutsche 
Publicisten Oesterreich und Preußen aufforderten, daran konnten die bei- 
den Mächte nicht denken, sofern dadurch nichts anderes geschehen wäre, 
als daß sie für Frankreich, dessen kriegerische Gelüste von Louis Philipp 
nur mühsam gezügelt wurden, eine Hilfsmacht in ihrem Rücken geschaffen 
hätten. Die Polen hatten demnach keinen andern Bundesgenossen als
	        
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