Polen russische Provinz. 489
genommen; der alte Sowanski fiel in der Kirche, wo der letzte Wider-
stand erlosch. Die Polen hatten anfangs die Bewegungen gegen Wola
als Scheinangriff betrachtet und auf beiden Flügeln ihre Hauptmacht
entwickelt, jetzt, als Wola genommen war, wandten sie sich gegen diesen
Punkt, konnten ihn jedoch wegen der Ueberlegenheit der russischen Artil-
lerie nicht wieder erobern, wiesen aber alle Angriffe der russischen Ba-
taillone mit großem Verluste zurück. Abends 4 Uhr endete der Kampf
mit einer Kanonade und die Russen richteten die genommenen Schanzen
gegen die Stadt ein; auf der Südseite der Stadt war ihnen um 7 Uhr
Morgens die verschanzte Stellung Rakowiek in die Hände gefallen, ohne
daß jedoch von dieser Seite her sonst Ernsthaftes unternommen wurde.
In der Nacht vom 6. bis 7. September schickte Krukowiecki den Ge-
neral Prondzynski zu dem Fürsten Paskewitsch, um wegen der Ueber-
gabe zu unterhandeln, wahrscheinlich auch um Zeit zur Heranziehung des
Ramorinoschen Korps zu gewinnen; die Unterhaudlungen zerschlugen sich,
weil der Reichstag seine Zustimmung verweigerte, doch hatten sie den
Angriff der Russen bis 1 Uhr Nachmittags verzögert. Er begann mit
einem lebhaften Geschützkampfe im Centrum und da Paskewitsch gleich
anfangs durch eine Kanonenkugel gestreift wurde, gab er den Befehl an
General Toll ab; 3 polnische Schanzen vor der Vorstadt Czyste wurden
von den Russen genommen, wobei Fußvolk und Reiterei sich mehrmals
mit blanker Waffe begegneten. Um 4½⅛ Uhr erschien Prondzynski aber-
mals mit Kapitulationsanträgen von Krukowiecki, erhielt aber zur Ant-
wort, man werde so lange vomücken, bis die Unterschriften erfolgt seien,
doch könnten die Unterhandlungen fortgehen, zu welchem Zwecke General
Berg in die Stadt geschickt wurde. Um 5 Uhr begann der Sturm
gegen Czyste durch General Kreutz von vornen, während Pahlen von
der Wolaer Straße her angriff. Die Russen drangen zwar vor und
setzten sich in Czyste und selbst auf dem Stadtwalle fest, verloren aber
sehr viele Leute. Die Nacht endete den Kampf; Warschau ergab sich am
Morgen den Russen, welche die strengste Disciplin beobachteten, nachdem
die polnische Armee über Praga nach Modlin abgezogen war. Die rus-
sische Armee hatte in dem zweitägigen Kampfe einen Verlust von 3065
Todten und 7460 Verwundeten, die Polen nicht viel weniger; die russische
Artillerie hatte während des Kampfes 29,000 Kanonenschüsse abgefeuert.
Krukowiecki, Prondzynski, Chrzanowski und andere Generale blieben
in der Stadt zurück und wurden deßwegen später laut als Verräther
bezeichnet, gewiß mit Unrecht, da jedenfalls nicht sie die Ursache waren,
daß die Schanzen vor Warschau schlecht angelegt waren und sich nicht
genug Leute vorfanden, um dieselben mit Erfolg zu vertheidigen; ein er-
neuerter Kampf am 8. September hätte aber jedenfalls die Einäscherung
Warschaus zur Folge gehabt.