Full text: Die Weltgeschichte. Dritter Theil. Die neue Zeit. (3)

Deutschland am Vorabend von 1848. 571 
schränkten Verstand, Unerfahrenheit, Nachäfferei des Franzosenthums 
u. dgl. vorwerfen ließ. Damit wurden die konstitutionellen Doktrinäre 
aber nicht von ferne bekehrt; daß die Konstitutionen in den Kleinstaaten 
nur Schauspiele waren, gaben sie zu, fanden aber die Schuld gerade 
darin, daß Preußen keine Verfassung hatte (für die österreichische Mo- 
narchie hat wohl vor 1848 niemand an eine Konstitution nach der fran- 
zösischen Schablone gedacht), und setzten deßwegen ihre Hoffnungen be- 
harrlich auf einen Systemwechsel in Preußen. Diese lebten frisch auf, 
als manche der ersten Reglerungshandlungen des Königs Friedrich 
Wilhelm IV. wenigstens so viel bewiesen, daß er den Männern mit 
konstitutionellen Gesinnungen persönlich nicht abgeneigt sei. Er stellte 
z. B. den alten E. M. Arndt wieder als Professor in Bonn an, einen 
Mann, der sich um die Erhebung des deutschen Volkes gegen Napoleon 
große Verdienste erworben hatte, aber 1819 wegen Verdachts dema- 
gogischer Grundsätze inqutriert und pensionfert worden war, worauf die 
badische Regierung sogleich die Freiburger Professoren Rotteck und 
Welcker reaktivierte, welche Hauptkämpen des süddeutschen Konstitutio- 
nalismus 1833 nicht ohne Einwirkung der preüßischen Regierung von 
ihren Kathedern hatten herabsteigen müssen. So erhielten auch einige 
der sieben Göttinger in Bonn und Berlin Anstellungen; der berühmte 
Arzt Schönlein, ein Bamberger, der 1831 als Liberaler in Bayern 
gemaßregelt wurde und deßwegen als Professor nach Zürich ging, wurde 
als königlicher Leibarzt berufen (1841) und von diesem ließ 1842 der 
König den jungen Frelheitsdichter G. Herwegh aus Stuttgart, der 
durch seine „Lieder eines Lebendigen“ ein in wilder Gährung begriffenes 
Talent bewies, in seinem Palaste sich vorstellen. Bedeutsamer noch er- 
schien die Einberufung der Ausschüsse der preußischen Provinzialstände 
auf den 18. Oktober 1842 nach Berlin, aber es zeigte sich bald, daß es 
dem König allerdings daran gelegen war, die Ansichten ehrenwerther 
Männer aus allen Ständen zu vernehmen, daß er aber nicht Willens 
war, in einer Ständekammer eine Mittelmacht zwischen Thron und Volk 
aufzustellen. So täuschte auch die Hoffnung, Preußens Politik im Ge- 
gensatz zu der russischen zu sehen; am 22. September 1842 llef nämlich 
der Vertrag zwischen Preußen und Rußland zur gegenseitigen Aus- 
lieferung der Ueberläufer ab und wurde von Preußen nicht erneuert. 
In Folge davon befanden sich binnen kurzer Zeit über 6000 russische 
Ueberläufer auf preußischem Boden, zum Beweise wie ungerne der Russe 
trotz seiner Bravour auf dem Schlachtfelde als Soldat dient und wie 
leicht Preußen ohne Krieg die russische Armee decimieren könnte. Preußen 
fand jedoch die Masse der Ueberläufer zu groß, es wußte sie nicht zu 
verwenden, wollte wahrscheinlich noch weniger eine massenhafte Desertion 
gewissermaßen unterstützen und erneuerte deßwegen am 8. Mai 1844
	        
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