Deutschland am Vorabend von 1848. 575
Unmöglichkeit dieses Regierungssystems für Oesterreich einleuchtete. Man
hätte es aber auch aus anderen Gründen in das neue Reich nicht auf-
nehmen können; denn es war zu groß für dasselbe, eine preußische
Hegemonie war neben ihm undenkbar, und zudem war es eine katholische
Macht. Das konstitutionelle Deutschland mit preußischer Hegemonie
sollte aber eine protestantische Macht sein, allerdings nicht in der alten
abstoßenden orthodoren Manier, sondern in der neuen Weise, nach welcher
jede Religionspartei Glaubensfreihelt hat, die katholische Kirche jedoch
mannigfaltig beschränkt wird, indem man vorgibt, man wende sich nur
gegen Ausschreitungen, gegen die Hierarchte, gegen Mißbräuche, gegen
schädliche Institutlonen u. s. w. Von dieser Stimmung unter dem größ-
ten Theil der deutschen Konstitutionellen in Beziehung auf die katholische
Kirche führen wir nur einige Beweise an: man vergleiche z. B. die
Sprache des Staatslerikons von Rotteck und Welcker, das vor zwanzig
Jahren noch als ein konstitutionelles Evangellum galt, über kirchliche
Dinge; die Weise, in der sich Gervinus in seinem literaturhistorischen
Werke gelegentlich über die neuesten kirchlichen Ereignisse äußert (von
dem Erzbischofe Klemens August von Köln bemerkt er, „der einen Feuer-
brand in den Frieden der Sekten durch den Streit über die gemischten
Ehen geschleudert hat“); den Beifall, den man den schwetzerischen
Klosterstürmen zollte; den offen bekannten Haß gegen geistliche Orden,
namentlich gegen Jesuiten u. s. w. Der König von Preußen fand aber
kein Wohlgefallen an dieser Art von Protestantismus; wie sein Vater
Friedrich Wilhelm III., der durch die Union 1817 das kalvinistische und
lutherische Bekenntniß zu einigen unternahm und später durch eine neue
Agende die protestantische Einigkeit zu fördern suchte, zeigte auch er sich
als eifrigen Protestanten, aber gleich nach seiner Thronbesteigung übte
er auch Gerechtigkeit gegen die katholische Kirche in seinem Reiche. Die
Erzbischöfe Kemens August (von Droste-Vischering, gestorben
1845) und Martin (von Dunin, gestorben 1842) von Posen, die
1837 unter dem Ministerium Altenstein kriminelle Behandlung er-
fahren hatten, weil sie in Sachen der gemischten Ehen nicht einer auf
Umwegen seit kurzem eingeschlichenen Praris, die von dem Papfste nicht
gebilligt wurde, sondern dem kirchlichen Gebote gehorchten, wurden in
allen Ehren durch unmittelbaren königlichen Befehl restituiert und der
Kirche kurz darauf mehr Freiheit gegönnt, als sie sett dem Sturze des
alten Reichs je in einem deutschen Staate genossen hatte. Der König
huldigte jenem Protestantismus nicht, der sich mit allen religiösen Mei-
nungen verträgt, auch nicht denen, welche das Christenthum gar nicht
als göttliche Anstalt anerkennen, aber dem Katholicismus feindselig sind,
sofern derselbe sich nicht verleugnet und nicht sich selbst aufgibt. Als
aufrichtigem Protestanten konnte es daher dem Könige nicht gefallen,