602 Die neue Revolutionsperiode.
erfüllen. Oesterreich hatte durch die Verträge von 1815 in der päpst-
lichen Stadt Ferrara das Besatzungsrecht, das der Papst 1815 zwar
nicht anerkannte, aber seitdem weder in Wort noch in That hinderte.
Ferrara war immer eine zum Aufruhr geneigte Stadt und zeigte dies
auch 1847, indem bei hellem Tage und auf offener Straße ein Baron
Baratelli ermordet wurde, der als Anhänger Oesterreichs galt. Der
Generalgouverneur der Lombardei, Marschall Radetzky, fand deßwegen
für gut, die Besatzung des wichtigen Platzes zu verstärken, da ohnedem
die Guardia Civica in Ferrara bei Gelegenheit sehr gefährlich werden
konnte. Gegen diese Verstärkung der Besatzung, deren Dienst sich nun
nicht wie früher fast ausschließlich auf die Citadelle beschränkte, sondern
sich auf alle wichtigen Posten in der Stadt ausdehnte, protestierte der
Kardinallegat Ciacht in Ferrara in einer ganz ungewöhnlichen, Aufsehen
erregenden Form, und das päpstliche Staatssekretariat sprach in der
üblichen Form das Gleiche aus. Die Regierungen zu Florenz und Turin
stimmten bei und thaten somit den ersten offenen feindseligen Schritt
gegen Oesterreich, so daß es dadurch jedem klar werden mußte, daß
sich ganz Italien auf das österreichische Heer in der Lombardei stürzen
werde, wie dies Radetzky seinem Hofe als bevorstehend berichtete. Ein
deutscher Publicist sagte dasselbe (in dem bei Cotta in Augsburg er-
scheinenden „Auslande") als nothwendige Folge des im Kirchenstaate
zur Geltung gekommenen Liberalismus in den klarsten und bestimmtesten
Ausdrücken voraus, nicht im dunkeln Orakelstyl, auch ließ er sich nicht
erst dann hören, als die Bewegung den Regierungen bereits über den
Kopf gewachsen war. Dies geschah nur zu bald; zuerst im Juli zu
Lukka, das seinen Anschluß an Toskana nicht abwarten wollte. Herzog
von Lukka war Karl III., Prinz von Bourbon, Infant von Spanien,
Sohn des Königs von Etrurien, dessen Königreich Napoleon 1801 ge-
schaffen und 1807 weggenommen hatte; der Wiener Kongreß gab der
Königin Wittwe und ihren Kindern 1815 das Herzogthum Lukka mit
der Anwartschaft auf Parma nach dem Ableben von Napoleons Wittwe
Marie Louise, in welchem Falle Lukka an Toskana übergehen sollte.
Die Aufstände im Juli bewogen den Herzog, der nach Venedig geflüchtet
war, sowie den Erbprinzen am 5. Oktober zur Abdankung, so daß das
Ländchen an Toskana heimfiel. Im September zeigten sich im König-
reich Neapel Aufstände zu Reggio, Messina, auf mehreren Punkten
Kalabriens und in den Abruzzen; im Oktober sah Turin ein liberales
Ministerlum, das Reformen in der Justiz, Verwaltung und Polizel an-
kündigte, Rom einen neu organisierten Rath, und am 14. versprach der
Papst eine Staatskonsulta, die am 15. November eröffnet wurde und
am 31. Dezember ein liberales Preßgesetz als Zugabe erhielt. In
Modena und Reggio fanden am 12. und 13. Dezember Unruhen.