Full text: Die Weltgeschichte. Dritter Theil. Die neue Zeit. (3)

624 Die neue Revolutionsperiode. 
danken; daß Oesterreich und Preußen, jedes für sich allein, den aus- 
wärtigen Mächten mehr imponieren als vor Zeiten das ganze heilige 
römische Reich; ist es ein so großes Unglück für eine Nation, wenn sie 
in zwei Großmächten repräsentiert ist? Deutschland erhält den Frieden 
Europas, ist der Bürge für das Gleichgewicht des Erdtheils, es wirkt 
als eine gewaltige, ruhlge Kraft, die nur der Unkundige in der Natur 
wie im Völkerleben nicht zu würdigen weiß.“ Die Antwort erfolgte 
augenblicklich: „Daß Oesterreich eine Großmacht ist, wissen wir und 
ebenso wohl, daß es sich selbst nicht als eine deutsche, sondern als elne 
europäische Macht betrachtet; Preußen ist keine Großmacht, sondern der 
Schleppträger Rußlands, sonst hätte es sich längst andere Wege geöffnet 
und sähe auf der Landkarte nicht aus wie ein ausgebreitetes zerfetztes 
Gewand. Die gewaltige ruhige Kraft kennen wir ganz gut, es ist ein 
anderer Name für die „Trägheit“ (vis inertiae), wie sie in der Natur- 
kunde heißt; diese steht einem Felsenstück und Holzblock gut an, aber 
alles was lebt, zeigt es eben dadurch, daß es sich selbst regt und bewegt 
und nicht zu warten braucht, bis es einen zureichenden Stoß erhält. 
Den heutigen Deutschen geht es mit ihrer „ruhigen Kraft" nicht anders, 
als unser alter Freund Tacitus von den Cheruskern erzählt; diese waren 
ein hochgeachteter Stamm, so lange sie dabei waren, wenn es in ihrem 
Bereiche etwas auszufechten gab; durch langen Frieden, durch das Be- 
hagen an der Ruhe aber erschlafften sie, und hießen sie ehemals die 
guten und gerechten Cherusker, so trugen sie später den Titel der dum- 
men und feigen Cherusker. Und wie betiteln uns denn die Russen? 
sagen die Franzosen nicht von einem Kerl mit Eselsgleichmuth: il est 
läche comme un Allemand (er läßt alles mit sich machen wie ein 
Deutscher)? welches Volk heißt in England the most servil people 
(das niederträchtigste Volk)? Der deutschredende Schweizer verbittet es 
sich, daß man ihn mit den Deutschen zusammenzähle; der Nordamerikaner 
betrachtet die deutschen Einwanderer (the dirt) Dutchmen) als Mist, 
ein nützliches Ding für den eigenen Acker und insofern geschätzt, sonst 
aber eckelhaft und verachtet. Und doch ist der Deutsche tapfer, fleißig, 
redlich, in Wissenschaft, Kunst und Gewerbe ausgezeichnet, man wirbt 
ihn für fremde Armeen, für fremde Kriegsschiffe, für fremde Werkstätten, 
aber freilich immer nur um ihn auszunutzen, nicht um ihn auszuzeichnen. 
An all diesem ist nur die politische Rolle schuldig, die der Deutsche spielt 
und zu dieser zwingt ihn die Bundesverfassung.“ So war wenigstens 
in dem südwestlichen Deutschland die Stimmung; daß dieser Landstrich 
aber auf die öffentliche Meinung von ganz Deutschland gewaltig ein- 
wirkte, wird niemand leugnen, weil die Ereignisse es beweisen, und 
wenn wir wiederholt auf die heillose Verbitterung gegen den Bund 
hindeuten, so geschieht es darum, weil nur in ihr die Erklärung von
	        
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