Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band XIX. Das Staatsrecht des Großherzogtums Hessen. (19)

8 117 Das Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften. 297 
  
6. Nichthessische Truppen sollen nur in außergewöhnlichen, durch militärische oder poli- 
tische Interessen gebotenen Fällen in Hessen garnisoniert werden (Art. 6). 
7. Die Aufstellung von Wachen und Wachtposten außer bei den dem Militär eingeräumten 
Etablissements und im unmittelbaren Dienst der Truppenabteilungen, die Abhaltung von Para- 
den, Übungen und Aufstellung von Truppen außerhalb der dem Militär dazu eingeräumten 
Übungsplätze und Schießstände, auf öffentlichen Straßen, Plätzen und Anlagen ist durch 
vorgängige allgemeine oder besondere Zustimmung der Zivilbehörden bedingt (Art. 12). 
Selbständiges militärisches Einschreiten ohne vorherige Requisition von seiten der zuständigen 
Zivilbehörden ist außer zum Zwecke der Zurückweisung von Angriffen oder Widersetzlichkeiten 
gegen Militärwachen oder Patrouillen unstatthaft (Art. 13; vgl. auch oben sub 2). 
III. Bezüglich der personalen Militärhoheitsrechte, d. h. bezüglich 
derjenigen, welche dem Großherzog als Landesherrn gegenüber allen hessischen Staats- 
angehörigen zustehen, gleichgültig, wo diese ihren militärischen Verpflichtungen genügen 1): 
1. Der Fahneneid wird von den ihrer Militärpflicht genügenden hessischen Staats- 
angehörigen dem Großherzog geleistet, zugleich aber auf den deutschen Kaiser ausgedehnt 
(Art. 3). Hiermit wird dem Grundsatze Rechnung getragen, daß die Erfüllung der Wehrpflicht 
eine dem Heimatsstaate gegenüber bestehende Pflicht ist. 
2. Die Bestätigung militärgerichtlicher Erkenntnisse erfolgt, 
wenn die Verurteilten hessische Staatsangehörige sind, mit der Maßgabe, daß in den dem 
Kaiser vorbehaltenen Fällen das Einverständnis des Großherzogs eingeholt wird (Art. 14; 
vgl. RMSt G. I#§ 416 ff.). 
Bezüglich der besonderen Verhältnisse des Großh. Hessischen Gendarmeriekorps s. die 
oben zitierte Dienstordnung vom 14. XII. 1903 u. Werner S. 86 ff. Vgl. auch die Aus- 
führungen über die Militärgerichtsbarkeit im allgemeinen a. a. O. S. 81—87. 
3.l Hinsichtlich des Begnadigungsrechts s. oben sub I Ziff. 4. 
Zehntes Kapitel. 
#s 117. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und den Religionsgemein- 
schaften. I. Allgemeine Grundsätzer). 1. Das Rechtsverhältnis zwischen Staat 
und Kirche wird vom Staate in eigener Zuständigkeit geregelts). Nachdem durch 
Art. 21 HV. zunächst nur „den anerkannten christlichen Konfessionen“ die freie und 
öffentliche Ausübung ihres Religionskultus gestattet worden war, gewährt 
Art. 1 des Gesetzes, die religiöse Freiheit betreffend, vom 2. August 1848, diese Befugnis 
allen Einwohnern des Großherzogtums (also nicht nur den Christen) 4). Ebenso steht jedem 
einzelnen vollkommene Gewissensfreiheit zu (HV. Art. 22). 
Die wesentlichsten Einschränkungen, welche in bezug auf Gewissensfreiheit 
und auf Kultusfreiheit bestehen, sind die folgenden: a) Der Vorwand der Gewissensfreiheit 
darf nie ein Mittel werden, um sich irgendeiner gesetzlichen Obliegenheit zu entziehen (H V. 22). 
b) Unter dem Vorwande der Religion dürfen weder die Gesetze des Staates oder der Sitt- 
lichkeit übertreten, noch andere Personen in ihren politischen, bürgerlichen oder religiösen 
Rechten beeinträchtigt werden (G. v. 2. VIII. 1848 Art. 1). Insbesondere darf auch die Ver- 
  
1) Vgl. Werner S. 112—115. 
2) Vgl. außer der unten verzeichneten Literatur der anerkannten Kirchen und Religionsgemein- 
schaften namentlich Winkelmann, Die rechtliche Stellung der außerhalb der Landeskirche 
stehenden Religionsgemeinschaften in Hessen. Geschichtliche Entwicklung und geltendes Recht, 
Darmstadt 1911. Gießener Diss. 
3) Vgl. neben dem unten behandelten Gesetze vom 23. April 1875 über die rechtliche Stellung 
der Kirchen- und Religionsgemeinschaften im Staate namentlich die Verordnung vom 23. Februar 
1850, betreffend die Staatsaufsicht über neue Religionsgemeinschaften und über Versamm- 
lungen zu kirchlichen Zwecken, RBl. S. 99. 
4) Der Staat hat demnach die ihm begrifflich zustehende Zulassungsbefugnis, 
das „jus reformandi der Gegenwart“ (s. Stutz Kirchenrecht; Kohler Encykl. II S. 914), ver- 
fassungsmäßig beschränkt.
	        
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