106 III. Teil. Verfassungsurkunde. Artikel 24.
in dem Großherzogthume keiner Beschränkung unter—
worfen, als welche Recht und Gesetz! bestimmen.
Artikel 24.2
[Jedem Hessen stehet das Recht der freyen Aus-
wanderung, nach den Bestimmungen des Gesetzes, zu.)
1 Der Unterschied zwischen „Recht“ und „Gesetz“ ist hier darin zu
finden, daß unter ersterem das ungesetzte Recht, das Gewohn-
heitsrecht, unter letzterem dagegen das gesetzte Recht, d. h.
das durch den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers geschaffene
Recht verstanden wird; die Unterscheidung bezieht sich also auf die
Art der Entstehung, auf ein äußerliches Moment. Inhaltlich
sind die beiden Ausdrücke hier vollkommen gleichbedeutend — sie
haben die Bedeutung von „Rechtsnorm“, von „Gesetz im materiellen
Sinn"“. Die Vorschrift des Art. 23 besagt also, daß Beschränkungen
der Freiheit der Person und des Eigentums nur dann rechtlich
zulässig sind, wenn sie sich auf eine Rechtsnorm (nicht auf bloße
Verwaltungswillkür) zu stützen vermögen — ein Grundsatz, welcher
in mehreren anderen Verf.-Artikeln noch näher ausgeführt ist (val.
besonders Art. 72). — Bezüglich der Entstehung des Art. 23 vgl.
die zu Art. 20 f. angegebenen Quellen, ferner LV. II. 1820, B. 2
H. 6 S. 57, 99, 105; Beil. 114, 115 S. 48ff. (Ausschußbericht);
B. 3 H. 8 S. 141.
2 Vgl. an Stelle dieses Artikels und an Stelle des Gesetzes
über die Auswanderungen vom 30. Mai 1821 (RNBl. S. 230) das
Bundes--(Reichs-)Gesetz über die Freizügigkeit, vom 1I. November 1867
(BGBl. S. 55); das Bundes-(Reichs-)Gesetz über das Paßwesen
vom 12. Oktober 1867 (BGl. S. 33); das Bundes-(Reichs-) Gesetz
über die Erwerbung und den Verlust der Bundes= und Staatsan-
gehörigkeit vom 1. Juni 1870 (BGl. S. 355) und das Reichsgesetz
über das Auswanderungswesen vom 9. Juni 1897 (RGl.
S. 463), wodurch das Auswanderungsrecht gemäß R. V. Art. 4
Ziff. 1 von Reichswegen geregelt ist. Art. 24 erscheint hiernach
nicht mehr als gültig. — Uber die Entstehungsgeschichte des Art. 24
s. LV. II. 1820 B. 2 H. 4, Beil. 86 S. 61 u. 66; H. 6, S. 49, 55,
100, 105, Beil. 111 u. 112 (Ausschußbericht); B. 3 H. 8, S. 141;
Beobachter 1832 S. 51 u. 137.