52 II. Teil. Die Grundlagen des hess. Verfassungsrechts.
V. Von den Kirchen, den Unterrichts- und
Wohltätigkeits-Anstalten.
1. Von den Kirchen.
Die kurzen Bestimmungen, welche der fünfte Titel
der HV. gibt, besagen über das Verhältnis zwischen
Staat und Kirche äußerst wenig; immerhin lassen sie
ersehen, daß der hessische Staat die Regelung dieses Ver—
hältnisses grundsätzlich zu denjenigen Angelegenheiten
rechnet, welche ausschließlich in seine, des Staates, Zu—
ständigkeit fallen. Das Prinzip der staatlichen Kirchen—
hoheit beläßt den kirchlichen Korporationen das Recht
der inneren kirchlichen Regierung und Verwaltung, d. h.
die Befugnis zur selbständigen Regelung und Durch—
führung ihrer eigenen Angelegenheiten (jus in sacra),
beansprucht aber für den Staat gegenüber allen Kirchen
oder sonstigen Religionsgemeinschaften als selbstverständ—
lichen Ausfluß der Staatsgewalt das Recht der Ober—
aufsicht (jus circa sacra). Diesen Grundsätzen ist in
der HV. in folgender Weise Rechnung getragen: Einer-
seits wurde die innere Kirchenverfassung unter den Schutz
der Verfassung gestellt und damit vor willkürlichen Ein-
griffen der Regierungsgewalt gesichert (Art. 39), wobei
gleichzeitig verfassungsmäßige Garantien für die Unver-
letzlichkeit des Vermögens der Kirchen und der milden
Stiftungen gegeben wurden (Art. 43, 44). Andererseits
1 Vgl. Beobachter 1832 S. 106; Arthur Schmidt, Kirchen-
rechtliche Quellen des Gr. Hessen, Gießen 1891, mit Ergänzungs=
heft v. 1895, Carl J. Reidel, Die katholische Kirche i. Gr. H., Pader-
born 1904; Zeller II, S. 16 ff.; Küchler II, S. 423 ff.; Cosack
S. 137 ff.; de Beauclair S.ö6 ff.; Gareis S. 81ff.; Köhler,
Kirchenrecht d. ev. Kirche d. Gr. H., Darmstadt 1884, mit Nachträ-
gen v. 1890; Thudichum, Deutsches Kirchenrecht i. 19. J., Leip-
zig 1877, I, S. 431 ff.