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Erkenntniß des Bundesamtes für das Heimathwesen vom 15. Februar 1873 in Sachen Schlesien
— Glat contra Schweidnitz.
Eründe:
"Undier dem vermeintlich verpflichteten Armenverbande, welchem nach §. 34 Alinea 1 des Reichs-
gktetzes vom 6. Juni 1870 der Anspruch auf Kostenerstattung binnen sechs Monaten nach begonnener
Unterstützung bei Verlust desselben anzumelden ist, kann nicht irgend ein Armenverband, welcher
vom späteren Kläger im Vorbereitungsverfahren für verpflichtet gehalten wurde, sondern nur der-
jenige Armenverband verstanden werden, gegen welchen demnächst Klage erhoben wird. Denn die
gedachte Bestimmung sollte, wie sich aus den Reichstags-Verhandlungen klar ergiebt, einen Schutz gegen
die Nachtheile gewähren, welche eine verspätete Anmeldung des Anspruches für die Rechtsvertheidi-
gung des Beklagten im Prozesse zur Folge hat. Der Ausdruck „vermeintlich verpflichtet“ ist nur
bewählt, um anzudeuten, daß der klagend in Anspruch genommene Armenverband nicht immer der
wirklich verpflichtete sei, wie denn die Einführung der Präklusivfrist gerade den Zweck hatte, die
Vertheidigung gegen unbegründete Ansprüche zu erleichtern. Der Verlust des Anspruches wird also
nicht dadurch gehindert, daß derselbe irgend einem dritten Armenverbande angemeldet worden ist.
Durch die Versäumniß rechtzeitiger Anmeldung bei dem klagend in Anspruch genommenen
Armenverbande wird aber der Kostenerstattungs-Anspruch nur insoweit prakludirt, als die Kosten
6 Monate vor der Anmeldung erwachsen sind. Die gegentheilige Meinung des Verklagten, welche
auch die späteren Kosten von der Erstattung ausgeschlossen wissen will, deruht auf dem Irrthum,
daß der Kostenerstattungs-Anspruch eine untheilbare Einheit bilde, während er in Wirklichkeit sich aus
einer Reihe von einzelnen mit jedem Tage der Unterstützung neu entstehenden Forderungsrechten
zusammensetzt. Konsequent durchgeführt, führt die Meinung des Verklagten zu dem widersinnigen
Ergebnisse, daß auch noch nicht entstandene Kosten für prakludirt erachtet werden müßten, sofern
die Unterstützung länger als sechs Monate fortgedauert hat. Dies kann nicht die Intention des
Gesetzgebers gewesen sein.
3. Arbeiter, welche für ein Gewerbe thätig sind, ohne die zu dessen Betreibung erforderliche technische
Jsbie zu besitzen, zählen nicht zu den Gewerbegehilfen im Sinne des §. 29 des Reichsgesetzes vom 6.
n
Il den Gründen des von dem Bundesamte für das Heimathwesen unterm 15. Februar 1873 in
Sachen Köln gegen den Landarmenverband der Rheinprovinz gefällten Erkenntnisses wird dieser Satz, wie
solgt, motivirt:
Der erste Richter ban nicht den verklagten Landarmenverband, sondern nach g. 29 des Reichs-
gesetzes vom 6. Juni 1870 den Armenverband Deutz für verpflichtet zur Tragung der Kosten, weil
er in Uebereinstimmung mit dem Verklagten die Thätigkeit eines mit dem Ein= und Ausladen von
Gütern auf dem Bahnhofe einer Eisenbahn beschäftigten Arbeiters als diejenige eines Gehilfen im
Gewerbebetrieb der Eisenbahngesellschaft erachtet, und feststellt, daß N. N. in Deutzerfelde, während
er auf dem dortigen Bahnhofe der Köln-Mindener Eisenbahngesellschaft in solcher Weise beschäftigt.
war, erkrankt sei.
Diese Auffassung, welche jeden im Gewerbebetrieb thätigen Arbeiter, sei es nun, daß er rein
mechanische oder technische Arbeiten verrichtet, insbesondere also auch Fabrikarbeiter zu den Gewerbe-
gehilsen im Sinne des F. 29 cit. zählt, ist eine irrthümliche.
Schon der gewöhnliche Sprachgebrauch lehnt sich dagegen auf, Handarbeiter als Gehilfen eines
Gewerbes zu bezeichnen, welches sie nicht zu treiben verstehen. Nicht minder unvereinbar ist dies
mit dem Sprachgebrauch der Reichs-Gewerbe-Ordnung vom 21. Juni 1869, welche im Titel VII.
Gewerbegehilfen und Gesellen den Lehrlingen, und beide Klassen wiederum den Fabrikarbeitern
gegenüberstellt, wenn sie auch gemeinsame Vorschriften für alle drei Kategorien enthält. In §. 29
des Reichsgesetzes über den Unterstützungswohnsitz aber würde es, wenn die vom ersten Richter
adoptirte Auslegung richtig wäre, einer Aufführung von Gesellen und Lehrlingen nebenden Ge-
werbegehllfen nicht bedurft haben.
Welchen Sinn dieses Gesetz mit dem Ausdrucke Gewerbegehilfe verbindet, ist unschwer zu er-
kennen, wenn man beachtet, daß, wie in der Gewerbe-Ordnung, so auch in §. 29 cit. die Gewerbe-
gehilfen neben den Gesellen genannt sind. Als Gesellen werden im handwerksmähigen Gewerbe-