— 199 —
8. Heimath-Wesen.
Ist bei Streitigkeiten zwischen Armenverbänden der Klageantrag nur auf Erstattung verausgabter Kosten
zu richten oder ist auch der Antrag auf Liberirung von einer Forderung zulässig? — Abmessung der Er-
stattungsforderung bei erfolgter Gewährung einer Wohnung.
Der Ortsarmenverband Pützerlin war in einem Vorprozesse verurtheilt worden, dem Ortsarmen-
verband Clempin die durch Gewährung einer Wohnung an die Familie S. entstehenden in separato zu
ermittelnden Kosten zu erstatten. Der letztgedachte Ortsarmenverband hatte dieser Familie in der Zeit vom
20. Juli 1873 bis Anfang Oktober 1874 Wohnung vermittelt und beantragte nun unter der Behauptung,
daß der Vermiether der Wohnung von ihm 160 Mark Miethe einzuklagen drohe, den Ortsarmenverband
Pützerlin zu verurtheilen, ihn von dieser Miethsforderung zu befreien. Der Verklagte wendete ein, eine
Verurtheilung zur Liberation könne in dem Streitverfahren unter Armenverbänden überhaupt nicht statt-
finden. Das Bundesamt hat in dem Erkenntnisse vom 26. Februar 1876 diesen Einwand verworfen, aber
den Verklagten nur verurtheilt, den Kläger von der Miethsforderung bis zum Betrage von 43 Mark
zu befreien:
in Erwägung, daß dem Armenverbande, der einen Hülfsbedürftigen vorläufig unterstützt hat, von
dem nach gesetzlicher Bestimmung definitiv fürsorgepflichtigen Armenverbande der Natur der Sache
nach und soweit das Gesetz nicht ausdrücklich ein anderes bestimmt, vollständige Schadlos-
haltung zu gewähren, und daß nicht abzusehen ist, weshalb unter einer solchen nicht auch die
Befreiung von übernommenen vertragsmäßigen Verbindlichkeiten begriffen sein sollte, — daß in
dieser Beziehung namentlich dem Wortlaute des §. 28. des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870,
insofern derselbe dem vorläufig unterstützenden Armenverbande nur den Anspruch auf Erstattung
der Kosten (bezw. auf Uebernahme) vorbehält, eine entscheidende Bedeutung nicht beigelegt
werden kann, — daß mit dem gedachten Ausdrucke vielmehr ohne allen Zweifel nicht nur die
bereits entstandenen, sondern auch die ferner hin entstehenden, und folgeweise auch die
aus eingegangenen Verträgen fernerhin entstehenden Kosten haben bezeichnet werden sollen, und
daß daher nach §. 28 cit. der definitiv fürsorgepflichtige Armenverband unbedenklich auch ge-
halten ist, dem vorläufig für ihn eingetretenen Armenverbande die Last der Entrichtung solcher,
aus Verträgen noch zu leistenden Zahlungen abzunehmen, —
daß hiernach der Einwand des Verklagten und Appellanten, wonach der Antrag des Klägers:
ihn von der Miethsforderung des 2c. L. im Betrage von 160 Reichsmark zu befreien, in dieser
Fassung überhaupt rechtlich unstatthaft sein soll, — für unbegründet zu erachten ist,
in Erwägung jedoch, daß die von dem Kläger der Familie S. gewährte Wohnung nach dem Er-
gebniß der stattgehabten Beweisaufnahme nur einen Miethwerth von 3 Reichsmark monatlich
hatte, daß daher dem Verklagten und Appellanten nicht zugemuthet werden kann, für dieselbe
eine Miethe von 12 Reichsmark monatlich zu entrichten resp. bis zu diesem Umfange in
die von dem Kläger eingegangene kontraktliche Verpflichtung einzutreten, — daß zur Begründung
eines solchen Verlangens namentlich die Behauptung nicht genügt: es habe niemand in Clempin
zu einem billigeren Preise eine Wohnung für die gedachte Familie hergeben wollen, — daß aus
einer derartigen Unwillfährigkeit der Einwohnerschaft in dem ersten Moment nach der einge-
tretenen Oddachlosigkeit eine nicht leicht zu überwindende Schwierigkeit sich ergeben haben mag,
daß es sich aber im vorliegenden Falle um einen mehr als einjährigen Zeitraum handelt, und
daß der Verklagte und Appellant nicht darunter leiden kann, wenn es in Clempin in solchem
Maße an den zur Unterbringung obdachloser Personen erforderlichen Einrichtungen fehlt.
Druckfebler-Berichtigung.
Auf Zeile 11 der Bekanntmachung vom 22. März 1876 Seite 185 des Central-Blattes ist zu
lesen: Berichtigung statt Berechtigung.
Berlin, Carl Heymann's Verlag. — Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin.