Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Sechster Jahrgang. 1878. (6)

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S. Heimath-Wesen. 
In Betreff der Folgen widerrechtlicher Versagung der vorläufigen Fürsorge bemerkt ein Erkenntniß des Bundes- 
amts vom 6. April 1878 in Sachen Stetten wider Beuron: 
Gegen den Ortsarmenverband, welcher sich der vorläufigen Fürsorge für einen Hülfs- 
bedürftigen widerrechtlich entzogen hat, kann der benachtheiligte Armenverband nicht nur auf 
Uebernahme der vorläufigen Fürsorge, sondern auch auf Ersatz der nothwendig aufgewendeten 
Armenpflegekosten klagen. Das Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz gedenkt ausdrücklich 
weder des einen, noch des anderen Anspruches. Allein das Schweigen des Gesetzgebers über die 
Folgen einer Zuwiderhandlung gegen die Vorschrift im §F. 28 des Gesetzes ist nicht dahin aus- 
zulegen, daß gegen Armenverbände, welche die Last der vorläufigen Armenfürsorge von sich ab- 
wälzen, jede Rechtsverfolgung unzulässig sei, und daß für das Unrecht, welches dem durch solch 
pflichtwidriges Verfahren benachtheiligten Armenverbande zugefügt wird, jede armenrechtliche Aus- 
gleichung habe versagt werden sollen. Ist aber eine Ausgleichung im Geiste der Armengesetz- 
gebung geboten, so darf sich dieselbe nicht, wie der erste Richter will, darauf beschränken, daß die 
vorläufige Fürsorge von dem gesetzlich dazu verpflichteten Armenverbande nachträglich übernommen 
wird. Denn die Ausgleichung würde unvollständig sein, wenn sie nicht auch den Ersatz der noth- 
wendig aufgewendeten Armenpflegekosten umfaßte, und der vom ersten Richter adoptirte Grundsatz 
würde sogar dahin führen, daß der zur Abnahme der vorläufigen Fürsorge verpflichtete Armen- 
verband ein Interesse daran hätte, die Erfüllung seiner Pflicht möglichst zu verzögern, weil ihm 
die Verzögerung noch Gewinn brächte. Wird aber gegen die Ersatzpflicht eingewendet, daß dem 
unterstützenden Armenverbande ein Ersatzanspruch ohnehin zustehe, nämlich gegen den definitiv 
fürsorgepflichtigen Armenverband, und daß es praktisch nur zu einer Vervielfachung der Streitig- 
keiten führe, wenn der vorläufig verpflichtete, statt des definitiv verpflichteten Verbandes auf Er- 
satz in Anspruch genommen werde, so ist nicht außer Acht zu lassen, daß es oft schwer, in man- 
chen Fällen sogar unmöglich ist, den definitiv verpflichteten Armenverband zu ermitteln, und daß 
der Armenverband, welchem ein anderer die vorläufige Unterstützung widerrechtlich zugeschoben 
hat, mit Grund verlangen kann, jener Ermittelung und einer unter Umständen schwierigen Ver- 
folgung seines Rechts gegen den definitiv verpflichteten Armenverband enthoben zu werden. 
Daß Thomas M., um dessen vorläufige Unterstützung es in dem gegenwärtigen Prozesse sich 
handelt, an Wassersucht schwer erkrankt und von verfügbaren Mitteln entblößt war, als er in 
Beuron auf Veranstaltung des Verklagten verpflegt und schließlich zu Wagen nach Stetten beför- 
dert wurde, wird vom Verklagten keineswegs in Abrede gestellt. Verklagter sucht aber die Wei- 
terbeförderung damit zu rechtfertigen, daß M. im Wirthshause zu Beuron der erforderlichen 
Krankenpflege entbehrt, Stetten als seine Heimath bezeichnet und den Wunsch ausgesprochen habe, 
dahin gebracht zu werden. Alle diese Anführungen sind nicht geeignet, den in dem Verhalten 
des Verklagten liegenden Thatbestand einer Zuwiderhandlung gegen §. 28 des Reichsgesetzes zu 
beseitigen. Konnte im Wirthshause zu Beuron dem Kranken die erforderliche Pflege nicht gewährt 
werden, so war es Aufgabe des Verklagten, ihn in einem anderen Hause des Ortes, eventuell 
in einer auswärtigen Krankenanstalt auf seine Kosten unterzubringen. Dem klagenden Armen- 
verbande aber durfte M. nicht eher zugeführt werden, bis derselbe zur Uebernahme freiwillig sich 
bereit erklärt hatte, oder durch eine vorläufig vollstreckkare Entscheidung dazu verurtheilt war. 
Eigenmächtiges Abschieben an den Heimathsort ist nach den Bestimmungen des Reichsgesetzes vom 
6. Juni 1870 auch dann unzulässig, wenn kein Zweifel über die Ortsangehörigkeit besteht, und 
der Hülfsbedürftige selbst dem heimathlichen Armenverbande überwiesen zu werden wünscht. Im 
vorliegenden Falle war aber nicht einmal festgestellt, daß M. beim Eintritte der Hülfsbedürftigkeit 
noch in Stetten domizilberechtigt war.
	        
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