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hauptet hat. Aus den in zweiter Instanz vorgelegten Akten des Fürstlichen Landrathes zu G. hat sich aber
Folgendes ergeben: Bereits am 1. Dezember 1880 hatte die Wittwe N. N. sich um ein Unterkommen in
Siegmundsburg bemüht, solches aber nicht erhalten, und gebeten, ihr zu einer Wohnung zu verhelfen. Der
Herzogliche Landrath zu S. hatte unterm 1. Dezember 1880 bei Mittheilung dieses Antrages den Fürst-
lichen Landrath zu G. ersucht, den Ortsvorstand zu Masserberg auf Grund des §. 28 des Gesetzes vom
6. Juni 1870 über den Unterstützungswohnsitz zu verständigen. Zum Bericht aufgefordert, hatte der Ge-
meindevorstand zu Masserberg angezeigt, die Wittwe N. N. habe in Masserberg noch keine Unterstützung
verlangt und sie habe sich selbst bei N. Wohnung verschafft. Letzterer habe erklärt, daß er sie nur auf
einige Tage aufgenommen habe. Sobald dieser sie ausweise, sei der Gemeindevorstand wegen Wohnungs-
mangels nicht im Stande, der N. N. Wohnung zu verschaffen. Dieselbe habe im Ort keine Beschäftigung
und wenn ihre wenigen Kartoffeln aufgezehrt seien, würde sie in eine traurige Lage verfallen, da die Ge-
meinde nicht im Stande sei, Unterstützung vorzustrecken. Nach der Ausweisung machte der Herzogliche Land-
rath zu S. dem Fürstlichen Landrath zu G. von dem eingeschlagenen Verfahren und von einer näheren
Auslassung der Wittwe N. N. Mittheilung, wonach dieselbe erklärt hatte:
Als der Gendarm zu ihr gekommen sei, habe derselbe sie zum Bürgermeister in Masserberg
geführt. Dieser habe gesagt, er könne ihr nicht helfen, sie müsse fort nach Siegmundsburg und
der Gendarm habe hinzugefügt, er ginge nicht eher fort, bis sie aus dem Orte wäre. Sie sei
dann mit ihren Kindern aus der N'schen Wohnung gethan und sei ihr nichts übrig geblieben,
als nach Siegmundsburg zu gehen. Ihre Sachen seien aber noch in Masserberg, namentlich
ein Bett.
Der Gendarm K. gab an, daß die Verhältnisse in Masserberg in Folge einer Typhus-Epidemie und
eines Brandes sich immer trostloser gestaltet. Die Gemeinde habe nicht das geringste Vermögen und es sei
keine Aussicht gewesen, daß die N. N. sich daselbst für die Dauer ihren Unterhalt zu erwerben im Stande
wäre. Dies habe er der N. N. vorgestellt und sie veranlaßt, Masserberg zu verlassen. Gewaltmaßregeln
habe er nicht angewendet und den Gemeindediener nur veranlaßt, Achtung zu geben, nach welcher Nichtung
sich die N. N. entferne.
Das Verfahren gegen die Wittwe N. N. war hiernach ungerechtfertigt.
Nach §. 5 des Freizügigkeitsgesetzes vom 1. November 1867 darf die thatsächliche Ausweisung aus
einem Orte niemals erfolgen, bevor nicht entweder die Annahme-Erklärung der in Anspruch genommenen
Gemeinde oder eine wenigstens einstweilen vollstreckbare Entscheidung über die Fürsorgepflicht erfolgt ist.
Im vorliegenden Falle ist die Ausweisung nach dem Angeführten offenbar in der Absicht erfolgt,
den Ort Masserberg von der vorläufigen Fürsorge für die N. N. zu befreien, zu welcher er nach §. 28 des
Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 verpflichtet war, und dieselbe dem Ortsarmenverbande Siegmundsburg
aufzubürden, welcher dazu reichsgesetzlich gar keine Verpflichtung hatte.
Von dieser Sachlage hatte aber der Ortsvorstand Kenntniß, da er selbst bei Vorführung der Wittwe
N. N. durch den Gendarm K. erklärt hatte, sie müsse den Ort verlassen und nach Siegmundsburg gehen.
Nach dem Bericht vom 11. Dezember 1880 war der Ortsvorstand auch gar nicht im Zweifel darüber, daß die
N. N. sich selbst nicht den genügenden Unterhalt auf die Dauer verschaffen konnte und daß sie mit Verlust
der Wohnung hülfsbedürftig wurde. Die Mittheilung des Herzoglichen Landraths zu S. vom 1. Dezember
1880 hatte den Ortsvorstand auf die Pflicht der vorläufigen Unterstützung aufmerksam gemacht und ihm
davon Kenntniß gegeben, daß die N. N. die Gewährung von Wohnung beantragt und damit Unterstützung
nachgesucht hatte.
Mit dem Augenblicke der Entfernung aus der N.'schen Wohnung trat deshalb an den Ortsarmen-
verband zu Masserberg die Verpflichtung heran, sich der nunmehr hülfsbedürftigen Wittwe N. N. und ihrer
Kinder anzunehmen.
Es kann nicht dagegen angeführt werden, daß die N. N. nicht nochmals Armenpflege beantragt
hatte. Denn es genügte, daß der Ortsvorstand von den Verhältnissen Kenntniß hatte, um ihn zur Hülfe-
leistung zu verpflichten. In ähnlicher Weise hat das Bundesamt bereits durch Erkenntniß vom 3. September
1881 in Sachen Gr. Fahner wider Dachwig entschieden.
Hiernach ist die Hülfsbedürftigkeit in der That schon im Bezirk des beklagten Landarmenverbandes
hervorgetreten und ist er deshalb nach §. 30 ad 2 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 zur Erstattung
der erwachsenen Kosten, nach §. 31 ibid. aber auch zur Uebernahme verpflichtet, weil die Dauer der Hülfs-
bedürftigkeit nicht absehbar und diese nicht blos durch vorübergehende Arbeitsunfähigkeit hervorgerufen ist.
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