Full text: Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts. Erster Band. Die allgemeinen Lehren und das Recht der Forderungen. (1)

§ 59. Zustellung empfangsbed. Erklärungen. Widerruf. Tod des Erklärenden. 203 
an F. schickt und E. aus Bequemlichkeit nicht selber zu F. geht, sondern die Bestellung durch 
den G. ausrichten läßt. II. Dagegen ist dem Erfordernis zu 2 genügt, weil die Abweichung 
zwischen den von dem Erklärenden bestimmten und den tatsächlich benutzten Zugangsmitteln 
nicht wesentlich ist, 1. wenn H. einen Brief an J. seinem Diener zur Ablieferung an die 
Post übergibt, während der Diener den Brief persönlich an J abliefert, oder umgekehrt; 
2. wenn der Postbote einen Postbrief K.s an L. auf der Straße verliert und ein Unbeteiligter 
ihn findet und dem L. abliefert. 
3. Der Zugang der Erklärung an deren Adresse ist rechtswirksam nur, 
wenn die Adresse die gesetzlich vorgeschriebene ist. 
Beispiel. A. hat eine fällige Forderung auf 1000 Mk. gegen den in Konkurs ver- 
fallenen B., B. eine fällige Forderung auf 920 Mk. gegen A.; demgemäß meldet A. in 
B.s Konkurse beim Konkursgericht nur eine Konkursforderung von 80 Mk. an, indem er 
in der Anmeldeschrift erklärt, daß er den Rest seiner Forderung wider B.# Gegenforderung 
aufrechne. Hier ist die Aufrechnung unwirksam; denn sie durfte nicht an die Adresse des 
Konkursgerichts, sondern mußte an die Adresse des Konkursverwalters gerichtet werden (388; 
Konk Ordn. 6).9 
II. Weil eine empfangsbedürftige Willenserklärung erst mit dem Zugange 
an ihre Adresse wirksam wird, kann sie von dem Erklärenden so lange, als der 
Zugang noch nicht erfolgt ist, beliebig widerrufen werden. Doch ist der Wider- 
ruf gleichfalls empfangsbedürftig und, falls das Gesetz nichts andres bestimmt, 
nur gültig, wenn er dem Adressaten spätestens zugleich mit der widerrufenen 
Erklärung zugeht (130 1). 
Beispiel. A. hat dem B. eine schriftliche Kündigung geschickt und sie gleich darauf 
ebenfalls schriftlich widerrufen. I. A. hat beide Briefe mit der Post geschickt; beide Briefe 
werden gleichzeitig ausgetragen und zusammen in den Privatbriefkasten B.s gelegt. Hier 
sind beide dem B. gleichzeitig zugegangen, auch wenn B. zufällig den Kündigungsbrief zuerst 
aus dem Kasten nimmt oder ihn zuerst liest; die Kündigung ist also gültig widerrufen. 
II. A. hat beide Briefe durch einen Privatboten geschickt; dieser hat den ersten Brief des 
Nachts um 11, den zweiten des Morgens um 6 Uhr in den Kasten B. s gesteckt; B. nimmt 
beide Briefe gleichzeitig um 8 Uhr morgens aus dem Kasten. Hier ist der Widerruf gleich- 
falls gültig; denn der erste Brief ist, obschon um 11 Uhr nachts bei B. „angekommen“, 
doch dem B. erst um 8 Uhr morgens „zugegangen“ (s. oben S. 201), also zur selben Zeit 
wie der zweite Brief. III. A. hat beide Briefe mit der Post geschickt; der Postbote steckt 
den ersten Brief um 8 Uhr, den zweilen um 11 Uhr vormittags in B.s Briefkasten; B. 
nimmt beide Briefe um 12 Uhr mittags aus dem Kasten und liest den zweiten Brief zuerst. 
Hier ist der Widerruf ungültig; denn der zweite Brief ist, obschon B. ihn früher gelesen 
hat als den ersten, ihm doch später „zugegangen“. 
III. Daraus, daß eine empfangsbedürftige Willenserklärung erst mit dem 
Zugange an ihre Adresse wirksam wird, könnte man folgern, daß sie von selber 
hinfällig wird, wenn der Erklärende in der Zeit zwischen der Abgabe und dem 
Zugang der Erklärung stirbt oder geschäftsunfähig wird. Doch hat das Gesetz 
das Gegenteil bestimmt (130 1I). 
Beispiel. Der schwerkranke A. erklärt trotz des dringenden Abratens seiner Frau 
brieflich seine Zustimmung zu einem Rechtsgeschäft, das B., der minderjährige Sohn der 
beiden, mit C. abgeschlossen hat; noch bevor der Brief bei C. anlangt, ist A. gestorben. Hier 
ist die Zustimmung zu dem zwischen B. und C. abgeschlossenen Geschäft gültig erteilt, ob- 
9) Abw. R. 56 S. 364.
	        
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