Vorwort. V
hinzu, die meine Fälle lebendiger, glaubhafter, packender machen. Ich selber
mußte mir diese dichterische Freiheit versagen, um den knappen mir zur Ver—
fügung stehenden Raum nicht zu überschreiten. Denn schon der Versuch, die
Helden meiner Beispiele statt mit bloßen Buchstaben mit vollen Namen und
Titeln zu benennen, hätte den Umfang des Buchs nicht unwesentlich vergrößert.
Der Anfänger, der sich für mein Buch entschieden hat, sei sodann von
Anfang an darauf bedacht, meiner Darstellung gegenüber eine kritische Hal-
tung einzunehmen, und traue ihr nicht zu sehr. Denn schon im ersten Beginn
des Studiums ist der Autoritätsglaube, in welcher Art er auch aufträte, vom
Übel. Er vergleiche also recht oft die von mir formulierten Rechtsregeln mit
dem Wortlaut der Gesetzesvorschriften, an die sie sich anschließen, und sehe zu,
ob ich recht hatte, wenn ich hier diesen Vorschriften etwas zusetzte, dort etwas
von ihnen fortließ. Und wichtiger noch: er prüfe für jedes einzelne Beispiel,
das ich ihm vorführe, die von mir gegebene Entscheidung! Denn ich habe mit
allem Vorbedacht neben zahlreichen Fällen, deren Entscheidung eine einfache,
selbstverständliche ist, auch schwierigere Fälle gestellt, deren Entscheidung erheb-
lichen Zweifeln unterliegt. Ja eine ganze Reihe meiner Fälle ist bewußter-
maßen so gefaßt, daß die von mir gefällte Entscheidung den Leser überraschen,
ja ihn beunruhigen soll. Absichtlich will ich den Leser durch diese Fälle
zum Widerspruch gegen mich reizen und ihn damit zur Selbständigkeit
zwingen. Gleichzeitig will ich den Leser aber dadurch auch zur Kritik des
Gesetzestextes veranlassen; denn er wird entweder der von mir vorgeschlagenen
sachlich offenbar verkehrten Entscheidung beitreten, oder er wird sie zwar ver-
werfen, aber mindestens zugeben, daß der Gesetzestext diese meine Entscheidung
als möglich erscheinen läßt; im ersteren Fall wird er aber notgedrungen an
dem schlechten Inhalt, in letzterem Fall wird er an der schlechten Formu-
lierung des Gesetzes Kritik üben müssen. Doch darf der junge Kritiker
bei alledem nicht einen Augenblick vergessen, daß der Gegenstand seiner
allerschärfsten Kritik er selber und sein eignes kritisches Vermögen sein muß:
solche Selbstkritik wird ihn davor bewahren, daß seine Kritik andrer un-
bescheiden ausfalle.
Der Anfänger, der von meinem Buch wirklich vollen Nutzen ziehn will, ver-
säume endlich nicht, außer ihm je nach Neigung und Gelegenheit ab und zu noch
andre gleichartige Lehrbücher oder größere juristische Systeme oder Kommentare
zu Rat zu ziehn, auf daß er nicht in Einseitigkeit verfalle. Auch halte er sich
stets gegenwärtig, daß ich in diesem Buch, obschon ich jedem Abschnitt einige
Notizen über das bisherige Recht angehängt habe, absichtlich die organische
Entwicklung des jetzigen Rechts aus dem alten Recht mit Stillschweigen über-
gehe — auf Grund der Erwägung, daß die geschichtliche und die dogmatische
Darstellung des Rechts jede ihre eigne Methode hat und deshalb nicht in
einem und demselben System vereinigt werden kann — und daß er deshalb
auf eine historische Ergänzung meines Buchs eifrig bedacht sein soll. Dagegen