96 Buch III. Abschnitt 2. Besitz und Inhabung.
kommen der Sache im Verhältnis zum Oberbesitzer bloß unter der Voraus-
setzung liegt, daß der Verlust des unmittelbaren Besitzes nicht nur ohne den
Willen des Ober-, sondern auch ohne den Willen des Unterbesitzers“ und allen
beiden gegenüber ohne rechtlichen Zwang geschah.
Beispiele. I. A. hat ein Pferd, das er bei B. eingestellt hatte, mündlich schenkungsweise dem
C. versprochen; C. hat unter Berufung auf diese Schenkung das Pferd aus dem unverschlossenen
Stall des B. geholt und in Besitz genommen: nun widerruft A. die Schenkung mangels
der rechten Form. Hier ist das Pserd dem A. nur abhanden gekommen, wenn weder er
noch B. dem C. die Abholung des Pferdes erlaubt hatte, also C. sowohl gegenüber A. wie
gegenüber B. verbotene Eigenmacht geübt hat. II. Aus einem vollstreckbaren Urteil wider
D. wird im Auftrage des Gläubigers E. bei D. ein Billard, das dieser von F. mietweise
erhalten hatte, gepfändet und in die Pfandkammer geschafft. Hier ist das Billard dem F.
nicht abhanden gekommen, auch wenn sowohl D. wic F. der Abholung des Billards wider-
sprochen haben. Deun der vom Gerichtsvollzieher geübte Zwang war wenigstens gegenüber
D. ein rechtmäßiger.
b) Anders steht es, wenn der Anspruch gegen einen Besitzer geltend
gemacht wird, der beim Besitzerwerbe nachweislich in schlechtem Glauben
gewesen ist. Hier gilt die Sache auch dann als dem Oberbesitzer abhanden
gekommen, wenn er seinen mittelbaren Besitz mit dem Willen des Unter-
besitzers oder durch einen gegen diesen rechtmäßig geübten Zwang verliert,
vorausgesetzt nur, daß er selber nicht darein gewilligt hat oder der ausgeübte
Zwang ihm selber gegenüber unrechtmäßig war.
c) Die zu a und b entwickelten Regeln sind besonders wichtig in dem
Fall, daß jemand eine in seinem unmittelbaren Besitz befindliche Sache einem
andern zu Unterbesitz anvertraut hat und diese Vertrauensperson ungetreuer-
weise oder aus Versehn die Sache an einen Dritten veräußert oder verpfändet.
Denn sie bewirken, daß jenem ein langfristiger Herausgabeanspruch gegen den
Dritten nur dann zusteht, wenn er ihm Schlechtgläubigkeit beim Besitzerwerbe
nachweisen kann, während er andernfalls auf einen Ersatzanspruch (aus Ver-
trag, Delikt, ungerechtfertigter Bereicherung usw.) gegen seine Vertrauensperson
beschränkt ist. Für diesen Satz sind die sprichwörtlichen Formeln: „wo du
deinen Glauben gelassen hast, mußt du ihn wiedersuchen“, oder „Hand wahre
Hand“ in Gebrauch. Sie decken sich aber mit den Vorschriften zu a und b
nicht ganz. Denn letztere treffen auch den Fall, daß der Oberbesitzer die Streit-
sache dem Unterbesitzer nicht aus freien Stücken „anvertraut“, also nicht seinen
„Glauben bei ihm gelassen“ hat.
Beispiele. I. Man nehme in dem ersten zu a 8 genannten Fall an, daß A. bei Er-
teilung des Schenkungsversprechens ausdrücklich gesagt hat, er werde das Pferd bei B. ab-
holen lassen und persönlich dem C. übergeben, daß darauf C. dem B. diese Erklärung mit-
geteilt, B. aber im Widerspruch zu der Anordnung A.s die Ubergabe des Pferdes an C.
sofort seinerseits vorgenommen, endlich daß C. gleich darauf das Pfserd dem gutgläubigen
D. verkaust und übereignet hat. Hier hat A. den mittelbaren Besitz an dem Pferde zwar
4) RG. 54 S. 72. Abw. Biermann, Anm. 3 zu § 1007.