Metadata: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

102 II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 
Begriff des Aufsichtsrechts abgeleitet werden können — z. B. regelmäßige 
Untersuchungen des Geschäftsganges, Einsetzung von Untersuchungskom- 
missionen. Werden dabei Verstöße gegen die Reichsgesetzgebung festgestellt, 
so kann das Reich die Beseitigung der Mängel verlangen, und es gehört 
zu den verfassungsmäßigen Bundespflichten der Einzelstaaten diesem Ver- 
langen nachzugeben; äußersten Falls könnten sie dazu gemäß Art. 19 R.V. 
im Wege der Exekution angehalten werden. 
Für die Frage, welche Organe des Reichs die Aufsicht ausüben, findet 
sich je eine Vorschrift in Art. 17 und Art. 7. Art. 17 bestimmt, daß dem 
Kaiser die Uberwachung der Ausführung der Reichsgesetze zusteht, und Art. 7 
Ziff. 3 bestimmt, daß der Bundesrat über Mängel beschließt, die bei der 
Ausführung der Reichsgesetze oder der vom Bundesrat zur Ausführung der 
Reichsgesetze getroffenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Ein- 
richtungen hervortreten. Das Verhältnis zwischen Art. 7 und 17 kann 
zweifelhaft sein. Es ist nicht anzunehmen, daß beide Bestimmungen sachlich 
dasselbe bedeuten; denn wenn in Ansehung des Auffichtsrechts der Bundesrat 
und der Reichskanzler die gleichen Befugnisse hätten, so müßten sich aus 
dieser Konkurrenz fast mit Notwendigkeit Verwicklungen ergeben und dies 
kann nicht beabsichtigt gewesen sein. Man wird, ohne dem Wortlaut der 
Verfassung Zwang anzutun, und in voller Übereinstimmung mit dem in 
der Verfassung — z. B. im Art. 19 — zum Ausdruck gebrachten Grund- 
gedanken der Kompetenzverteilung zwischen Bundesrat und Reichskanzler 
annehmen können, daß es Sache des Reichskanzlers ist, der allein über den 
erforderlichen Beamtenapparat verfügt, die Kontrolle über die Ausführung 
der Reichsgesetze durch die Einzelstaaten auszuüben. Der Reichskanzler hat 
auch die Befugnis die von ihm bemerkten Mängel zum Gegenstand eines 
diplomatischen Schriftwechsels mit dem betreffenden Bundesstaat zu machen; 
nur das unmittelbare Einschreiten gegen den Bundesstaat ist ihm nicht 
gestattet. Vielmehr tritt, wenn eine Einigung zwischen der obersten Reichs- 
behörde und der Regierung des Einzelstaats nicht zustande kommt, Art. 7 
Ziff. 3 RV. in Kraft, und danach ist es der Bundesrat, der einen Beschluß 
wegen Beseitigung der hervorgetretenen Mängel zu fassen hat. Wenn in 
dieser Verfaffungsbestimmung gesagt ist, daß der Bundesrat „über Mängel 
beschließt“", so kann dies nichts anderes bedeuten als: es wird ein Beschluß 
darüber gefaßt, ob und welche Maßnahmen der Einzelstaat zur Beseitigung 
der bei der Ausführung der Reichsgesetze hervorgetretenen Mängel zu treffen 
hat. Die Ausführung dieses Beschlusses ist Sache des Reichskanzlers; val. 
auch v. Rönne I S. 215 und unten Art. 7 A IV. 
Art. 4 regelt das Gesetzgebungsrecht, wie unter I1 4 dargelegt ist, nicht 
ausschließlich. Es kann fraglich sein, wie es mit dem Auffsichtsrecht des 
Reichs hinsichtlich der im Art. 4 nicht genannten, aber doch der Gesetz- 
gebung des Reichs unterliegenden Angelegenheiten steht. Im konst. Reichstage 
ist die Frage angeregt, aber nicht entschieden worden. Der Abg. Zachariä 
hatte beantragt, dem 1. Satz des Art. 4 die Fassung zu geben: 
„außer den der Bundesgewalt in dieser Verfassung besonders zu- 
gewiesenen Angelegenheiten unterliegen der Beaufsichtigung des Bundes 
und der Gesetzgebung desselben die nachstehenden Angelegenheiten 
Zur Begründung seines Antrages führte er in der Reichstagssitzung 
v. 21. März 1867 St. B. 315 folgendes an:
	        
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