112 II. Reichsgesetzgebung. Art. 4.
stellen, die den Zentralbehörden unterstellt sind, in Kraft tritt — auf der
anderen Seite erstreckt sie sich nötigenfalls darauf, daß die reichsgesetzlich
geregelten Gebiete des geltenden Rechts in den Einzelstaaten wirklich zur
Ein= und Ausführung gelangen (vgl. die oben wiedergegebenen Ausführungen
des Abg. Twesten), daß nicht etwa landesgesetzliche Bestimmungen erlassen
werden, welche die Wirkung haben können, die Geltung des Reichsrechts
zu gefährden, daß Ausführungsbestimmungen, die notwendig sind und deren
Erlaß den Einzelstaaten überlassen ist, auch tatsächlich erlassen werden usw.
Was die eigentliche Justizverwaltung anbetrifft, so wird der Reichs-
verwaltung das Recht nicht abzusprechen sein, durch Vermittelung der
Landesregierungen Kenntnis auch von einzelnen Akten der Rechtspflege zu
nehmen, um daraus Material für Maßregeln der Gesetzgebung oder der
Verwaltung allgemeinen Inhalts zu nehmen, nicht aber um im einzelnen
Falle unmittelbar einzugreifen. Für das Recht des Reichs auf Kenntnis-
nahme hat sich auch v. Rönne II (S. 65) ausgesprochen, vgl. auch Staats-
sekretär des Reichsjustizamts Nieberding in den Reichstagssitzungen v. 8. Febr.
1902 St.B. 4026 C und vom 22. Nov. 1902 St. B. 6535 D.
Staatssekretär Nieberding erklärte ferner in der Reichstagssitzung
v. 11. Januar 1905 St. B. 3666 D auf eine Interpellation in Sachen des
Königsberger Hochverratsprozesses, daß er über den Prozeß im Reichstage
nur dann sich äußern würde,
„wenn in dem Prozeß Verstöße, Unregelmäßigkeiten und schiefe oder auch
unrichtige Behauptungen und Rechtsausführungen vorgekommen wären,
die von symptomatischer Bedeutung für unser Rechtsleben im allgemeinen
find und die für dieses hohe Haus wie für die Verbündeten Regierungen
die Frage nahe legen könnten, ob nicht die Verstöße Anlaß geben, das
geltende Recht abzuändern.“
In dieser Erklärung ist einmal die passive Stellung zum Ausdruck
gebracht, die von den Organen der Reichsverwaltung in Fällen eingenommen
werden muß, in denen es sich um die Anwendung des geltenden Rechts
durch die ordentlichen Gerichte handelt, andererseits liegt in der Außerung
eine Bestätigung des oben hervorgehobenen Gesichtspunktes, daß die Reichs-
aufsicht den Nebenzweck verfolgt, Material für die Fortbildung des Reichs-
rechts zu sammeln, und daß sie deshalb die Aufgabe hat, auch von Angelegen-
heiten, in die unmittelbar einzugreifen nicht zur Kompetenz der Reichsorgane
gehört, Kenntnis zu nehmen. Die Außerung enthält eine Abgrenzung ein-
mal des Gebiets der Justizverwaltung zu dem der Rechtspflege und ferner
eine Abgrenzung des Gebietes der Reichs-Justizaufsicht zu dem der Justiz-
verwaltung der Landesregierungen; vgl. auch Art. 17 IVb.
B. Mie einzelnen Materien der Reichsgesetzgebung.
Ziffer 1.
a) Freizügigkeit.
über die Freizügigkeit ist das Ges. v. 1. Nov. 1867 B. G. Bl. S. 55
erangen, dessen Grundsätze unter Art. 3, III 2 S. 77 f. mitgeteilt sind; es
gilt im ganzen Gebiete des Deutschen Reichs. Die Beschränkungen der