II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 121
keit auszuschließen, daß etwa auf dem Wege der einzelstaatlichen Fremden-
polizei reichsgesetzliche Bestimmungen über Indigenat und Freizügigkeit
illusorisch gemacht werden könnten. Dagegen ist eine Einschränkung des
Rechts der Einzelstaaten zur Ausweisung von Ausländern aus dieser
Bestimmung nicht abzuleiten. Der Geschäftskreis des Reichskanzlers wird
mithin durch die von der Kgl. preußischen Regierung verfügten Maß-
regeln, die den Gegenstand der Interpellation bilden, nicht berührt.“
Die Beantwortung der Interpellation wurde aus diesem Grunde ab-
gelehnt. Bei der sich anschließenden Besprechung der Interpellation erklärte
der Abg. Hänel, daß die Fremdenpolizei nichts anderes sei als die Regelung
des Aufenthalts der Ausländer im Bundesgebiet. Es ist zuzugeben, daß diese
Begriffsbestimmung der allgemeinen juristischen Bedeutung des Wortes
„Fremdenpolizei“ entspricht, aber das Wort hat in der Reichsverfassung nicht
mehr diese Bedeutung, weil jetzt der Begriff des „Fremden“ viel enger gewor-
den ist, als er es zur Zeit des Antrages Michablis war. Damals gehörten
zu den „Fremden“ auch die Angehörigen aller anderen deutschen Bundes-
staaten, und nur das Verhältnis zu diesen Personen sollte der reichsgesetzlichen
Regelung überlassen werden. Dieselbe Frage ist im Reichstage noch wieder-
holt behandelt worden. In der Sitzung v. 20. März 1903 St. B. 8067 A
erklärte der Staatssekretär des Auswärtigen Amts Freih. v. Richthofen:
„Die Fremdenpolizei gehört nach Art. 4 R.V. zweifellos zur Kompetenz
des Reichs. Soweit solche Bestimmungen von Reichswegen ergangen
sind, ist deren Ausführung vom Reich zu überwachen. Dahin gehört
z. B. das Reichs-Paßgesetz. Die einzelnen Ausweisungen gehören dagegen
in die landespolizeilichen Befugnisse.“"
Hierin liegt kein Widerspruch zu den Ausführungen des Reichskanzlers
vom Jahre 1899. Der erste Satz der Erklärung des Staatssekretärs darf
nur nicht isoliert betrachtet werden. In Verbindung mit dem zweiten
Satz bringt der erste Satz die unzweifelhafte und von der Reichsverwaltung
auch sonst nicht bestrittene Tatsache zum Ausdruck, daß, soweit Reichsgesetze
sich mittelbar auf die Behandlung von Reichs-Ausländern erstrecken, es
natürlich zur Kompetenz des Reichs gehört, die Ausführung dieser Reichs-
gesetze zu überwachen. Solche Reichsgesetze sind z. B. außer dem Gesetz
über das Paßwesen das Reichs-Strafgesetzbuch, das im §8 39 Bestimmungen
über die Ausweisung von Ausländern enthält, die unter Polizeiaufsicht ge-
stellt find, und im 8§ 361 Ziff. 2 über die Bestrafung von Ausländern,
die trotz der von den Behörden der Einzelstaaten angeordneten Ausweisung
in das Bundesgebiet zurückkehren. Es handelt sich eben hier nur um eine
mittelbare Einwirkung auf die Fremdenpolizei von Reichsgesetzen aus, die
sich auf andere, der Reichsgesetzgebung durch besondere Bestimmungen des
Art. 4 überlassene Materien beziehen.
Der Staatssekretär des Innern Graf v. Posadowsky-Wehner hat nach
einem Bericht der Petitionskommission des Reichstags v. 14. April 1904
(Anl. der 11. Leg.-Per., Sess. 2 Bd.7 S. 5688 Nr. 601) in dieser Kommission
erklärt:
„Art. 4 Abs. 1 R.V. ist auf Antrag des Abg. Micha5lis aufgenommen
worden, um zu verhindern, daß durch die einzelstaatlichen Gesetzgebungen
die Vorschriften der Reichsverfassung über Freizügigkeit und über gemein-
sames Indigenat aller Deutschen beeinträchtigt werden möchten.“