II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 123
einzelten Fällen unter ganz besonderen Umständen geschehen, so dürfte sich
daraus noch kein Stoff für einen vom Reiche zu entscheidenden Konflikt
ergeben. Daß aus Ausweisungen von Reichs-Ausländern Verhandlungen mit
dem Ausland, namentlich mit dem Heimatsstaat des Ausgewiesenen ent-
stehen, ist leicht möglich, und solche Verhandlungen würden allerdings nur
durch Vermittelung des Auswärtigen Amts geführt werden können, da ab-
gesehen von den Ausnahmefällen, daß Landesgesandte bestellt find, nur diese
Behörde über die zu dem Verkehr mit dem Ausland erforderlichen diplo-
matischen Mittel verfügt. Aber damit wird die Angelegenheit noch nicht
zur Reichssache. Das Reich ist nur insofern beteiligt, als es seine Behörden
zur Vermittelung des mit dem Auslande etwa notwendigen Verkehrs zur
Verfügung stellt. Derselbe Fall kann bei allen anderen Funktionen der
Einzelstaaten eintreten, aus deren Erfüllung sich Beziehungen zum Auslande
ergeben. Die Reichsverwaltung würde also auch in den die Ausübung der
Fremdenpolizei betreffenden Fällen nicht für die Ausweisung, sondern nur
dafür verantwortlich sein, daß für die notwendig gewordenen Verhandlungen
mit dem Auslande die richtigen Wege eingeschlagen und die bestgeeigneten
Mittel für die Beilegung des etwa entstandenen Streits angewendet worden
find (vgl. Art. 11B ).
f) Gewerbebetrieb.
Der Gewerbetrieb wurde umfassend zuerst geregelt durch die Gewerbe-
ordnung für den Norddeutschen Bund v. 21. Juni 1869 B. G. Bl. S. 245.
Nach vielfachen Ergänzungen dieses Gesetzes ist der neue Text unter dem
26. Juli 1900 im R. G. Bl. S. 871 ff. bekannt gemacht worden. Auch später
find Novellen ergangen, unter d. 2. Juni 1902 R.G.BBl. S. 215 über die
Stellenvermittelung für Schiffsleute, d. 14. Okt. 1905 R.G. Bl. S. 759 über
Handlungsagenten, d. 7. Jan. 1907 R.G Bl. S. 3 über die Kontrolle der
Bauunternehnmer, d. 30. Mai 1908 R.G.Bl. S. 356 über die Ausbildung
von Lehrlingen und d. 29. Juni 1908 R.G. Bl. S. 473 über den Handel
mit lebenden Vögeln, endlich die wichtige Novelle v. 28. Dez. 1908 R.GG.Bl.
S. 667. Durch sie wird die Nachtarbeit der gewerblichen Arbeiterinnen
verboten und die Arbeitszeit der jugendlichen und aller weiblichen Arbeiter
verkürzt. Eine größere Novelle liegt noch dem Reichstage vor. Auch gehört
in dieses Gebiet das Ges. betr. die Preisfeststellung beim Markthandel mit
Schlachtvieh v. 8. Febr. 1909 R.G.Bl. S. 269.
Die Gewerbeordnung gilt im ganzen Bundesgebiet, seit dem 1. Jan.
1889 auf Grund des Reichsgesetzes v. 27. Febr. 1888 R.G.Bl. S. 57 auch
in Elsaß-Lothringen. Tit. 1 88 1—13 umfaßt die allgemeinen Bestimmungen.
§ 1 Abs. 1 enthält das Prinzip der Gewerbefreiheit: „Der Betrieb eines
Gewerbes ist jedermann gestattet, soweit nicht durch dieses Gesetz Ausnahmen
oder Beschränkungen vorgeschrieben oder zugelassen find.“ Näher ausgeführt
ist dieser Grundsatz durch 8§s 2—5. Danach ist die Unterscheidung zwischen
Stadt und Land bezüglich des Gewerbebetriebes und seiner Ausdehnung
beseitigt (§ 2). Der gleichzeitige Betrieb verschiedener Gewerbe sowie des-
selben Gewerbes in mehreren Betriebs= oder Verkaufsstätten ist gestattet.
Die Handwerker find nicht mehr auf den Verkauf selbstverfertigter Waren
beschränkt (§ 3). Zünfte und kaufmännische Korporationen können niemanden
mehr vom Gewerbebetriebe ausschließen (§ 4). Die Beschränkungen des
Gewerbebetriebes durch Zoll-, Steuer= und Postgesetze bleiben unberührt