II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 143
Steuern nunmehr einzuführen seien. Aus der Annahme dieses Amende-
ments ergibt sich in der Tat nicht mehr, als daß das positive staatsrecht-
liche Hindernis für die Einführung direkter Reichssteuern, das durch die
ursprüngliche Fassung der Bestimmung gegeben war, aufgehoben ist.
Für den Begriff der „Steuer“ ist im Gegensatz zu dem der „Gebühr“
wesentlich, daß der die Steuer erhebende Staat oder sonstige öffentliche
Verband keine Gegenleistung gewährt; vgl. Schwarz und Strutz, I S. 1059.
Über die Abgrenzung des Begriffs der „direkten“ von den „indirekten“
Steuern besteht Streit. Man hat teilweise das Unterscheidungsmerkmal
in der Grundlage für die Bemessung der Steuer gefunden und als „direkte"
Steuern diejenigen bezeichnet, die vom Erwerbe oder Befitz geldwerter
Güter, als „indirekte“ diejenigen, die von dem Verbrauch solcher Güter
erhoben werden; auf die letzteren Steuern würde die Bezeichnung „indirekte"
insofern zutreffen — so ist von den Anhängern dieser Ansicht angeführt
worden — als Steuern nur gezahlt werden können von Gütern, die man
noch besitzt, und deshalb würden die auf den Verbrauch von Gütern
gelegten Steuern nicht aus diesen Gütern unmittelbar, sondern nur noch
aus den im Besitz des Steuerzahlers verbliebenen Gütern, aus den ersteren
also nur mittelbar oder indirekt entrichtet; vgl. Schwarz und Strutz 1
S. 1060. Hiergegen ist einzuwenden: die meisten indirekten Steuern
(Branntwein, Bier, Tabak usw.), die als solche anerkannt sind, werden
nicht vom tatsächlichen Verbrauch, sondern schon von der Produktion erhoben,
gewissermaßen von dem Akt, mit dem sie der Produzent durch den Fabri-
kationsprozeß erwirbt, und dann müßten im Sinne des oben angeführten
Standpunktes alle diese Steuern direkte sein. Eine feste und klare Begriffs-
bestimmung für die direkten und indirekten Steuern ist noch nicht gefunden.
Die Praxis hat daher um so größeres Gewicht, und unter diesen Umständen
ist es zu beachten, daß nach preußischem Finanzrecht, d. h. nach dem preu-
ßischen Staatshaushaltsetat die Erbschaftssteuer, um die sich der Streit
über den Begriff der direkten und indirekten Steuern vorzugsweise bewegt,
von jeher als indirekte Steuer behandelt wird. Die Steuern, die auf zum
Verbrauch bestimmte Güter gelegt sind (Art. 35 R.V.) sind allseitig als
indirekte Steuern anerkannt, während die auf Einkommen und Besitz
gelegten Steuern allseitig als direkte Steuern anerkannt sind. Zweifel.
bestehen nur für die Erbschaftssteuer. Bis zu dem die Erbschaftssteuer
für das Reich einführenden Reichsgesetz betr. die Ordnung des Reichshaus-
halts und die Tilgung der Reichsschulden v. 3. Juni 1906 R. G. Bl. S. 621
hatte das Reich unbestrittener Weise nur indirekte Steuern zu seiner Ver-
fügung. Zu den im Art. 35 R.V. genannten Steuerobjekten find später
noch hinzugekommen: Schaumwein, Spielkartenstempel, Wechselstempel, die
Stempelabgaben für Wertpapiere, Kaufgeschäfte usw., Lotterieloose und
Schiffsfrachturkunden. Das Gesetz v. 3. Juni 1906 brachte neben Er-
höhungen der bestehenden Steuern und einer besonderen Steuer für Zigaretten,
neuen Stempelabgaben für Personenfahrkarten, Erlaubniskarten für Kraft-
fahrzeuge und die Aufstellungen der Aktiengesellschaften usw. über die an
die Mitglieder des Aufsichtsrats gezahlten Tantiemen als neue bisher nur
in den Einzelstaaten eingeführt gewesene Steuer die Erbschaftssteuer. Aus
der Finanzreform von 1909 gingen neben einer Erhöhung der bestehenden
Steuern für Branntwein, Bier und Tabak neue Stempelabgaben für Gewinn-