Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

II. Reichsgesetzgebung. Art. 4. 157 
gebung und Aufficht des Reichs unterliegt, reicht m. E. doch soweit nicht; 
sie reicht soweit, daß der Verkehr auf diesen Bahnen und seine Beziehung 
zu den übrigen Bahnen gesetzlich geregelt werden kann, das Tarifwesen 
und dergl., aber daß das Eigentum an der Substanz der Bahnen den 
Staaten tatsächlich entzogen werden kann — eine theoretische Souveränetät 
würde soweit reichen, man würde aber mit derselben Souveränetät dahin 
kommen können, den Staaten durch Reichsgesetz ihre Staatsforsten oder 
Bergwerke nehmen zu wollen — etwas ganz Ungeheuerliches und Unmög- 
liches — aber gerade so juristisch unmöglich scheint es mir, daß wir 
ein Reichsgesetz machen, nach welchem es hieße, Sachsen soll seine Eisen- 
bahnen, sein Eigentum an denselben an das Reich abgeben.“ 
Andererseits ist die staatsrechtliche Lage nicht dahin aufzufassen, daß 
dem Reiche bezüglich des Eisenbahnwesens nichts mehr zu tun übrig bliebe, 
weil dieses Gebiet durch Art. 41 ff. R.V. erschöpfend geregelt sei. Die Art. 
41 ff. enthalten ein Programm; fie stecken für die zukünftige Reichsgesetz- 
gebung den Rahmen ab und dieser Rahmen ist sehr weit gezogen, denn mehr 
als eine nötigenfalls bis in alle Einzelheiten reichende Ubereinstimmung 
der Betriebsverwaltung einschließlich einer gleichmäßigen Tarifordnung kann 
für die Reichs-Eisenbahngesetzgebung nicht in Aussicht genommen werden. 
Alles dies liegt aber im Rahmen der Art. 41 ff., insbesondere Art. 42—46. 
Es bliebe nur noch übrig, daß das Reich selbst den ganzen Eisenbahnbetrieb 
übernimmt, wie es bezüglich der Postverwaltung geschehen ist. Aus den pofi- 
tiven Bestimmungen der Reichsverfassung, Art. 41 ff. geht hervor, daß dies 
nicht mehr in den durch die Verfassung gezogenen Grenzen liegen würde. Denn 
im Art. 41 ist festgestellt, in welchen Fällen das Reich selbst Eisenbahnen 
anlegen kann, und dies find Ausnahmefälle, die nur unter bestimmten, im 
Art. 41 bezeichneten Voraussetzungen gegeben sind. Eine andere Frage ist 
es, ob aus politischen Gründen der Übergang der Eisenbahnen auf das 
Reich gerechtfertigt wäre. Dies hat Fürst Bismarck zeitweise erstrebt, aber 
es ist nicht anzunehmen, daß Fürst Bismarck je daran gedacht hat, das 
Projekt ohne formelle Veränderung der Reichsverfassung auszuführen, un- 
geachtet der Erklärungen, die er anscheinend im entgegengesetzen Sinne bei 
der Erbrterung des Reichs--Eisenbahnprojektes in der Sitzung des Herren- 
hauses v. 18. Mai 1876 St. B. 123b gegeben hat; der ganze VII. Abschnitt 
der Reichsverfassung würde dann gegenstandslos und hinfällig werden. Wenn 
in der staatsrechtlichen Literatur, z. B. von Laband III S. 104 ff., v. Rönne 
II, 1 S. 317, v. Seydel S. 89, Hänel, Staatsrecht l S. 637f. — ferner vom 
Abg. Migquel in der Reichstagssitzung v. 21. April 1870 St. B. 784 (an- 
derer Meinung v. Jagemann S. 168) die Ansicht vertreten ist, daß die dem 
Reich auf Grund der Art. 4 Ziff. 8 verliehene Kompetenz durch Art. 41—47 
nicht beschränkt, sondern daß diese Bestimmungen nur als Notgesetz, also 
als eine teilweise Ausführung des Art. 4 Ziff. 8 aufzufassen seien, so dürfte 
der Widerspruch im praktischen Ergebnis nicht groß sein, weil — immer 
vorausgesetzt, daß bezüglich Eigentum, Betrieb und Verwaltung der Eisen- 
bahnen der bestehende Zustand aufrecht erhalten bleibt, d. h. daß Eigentum, 
Betrieb und Verwaltung nicht auf das Reich übergehen — das Reich zur 
Durchführung seiner Aufsichtsbefugnisse keine weitergehenden Maßregeln wird 
ergreifen können, als im Wege der Reichsgesetzgebung zu bestimmen, was im 
Art. 41 ff. als Verpflichtung der Eisenbahnverwaltungen bereits ausgesprochen
	        
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