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damit die einer eigenen Rechtspersönlichkeit gegeben wird. Es lief also
darauf hinaus, daß im Wege von Staatsverträgen der Einzelstaaten ein
neuer Staat errichtet wurde, ein Fall, der wegen seiner Eigenart in der
Rechtsgeschichte nicht seinesgleichen findet, aber weder durch positive Be-
stimmungen des Staatsrechts noch durch solche des Völkerrechts aus-
geschlossen wird. Die Eigentümlichkeit der Konstruktion, daß ein Bundes-
staat als durch einen Staatsvertrag der Einzelstaaten gegründet erscheint,
wird gemildert, wenn man sich vorstellt, daß es nur eine Ouantitätsfrage
ist, ob die Voraussetzungen für einen Bundesstaat oder Staatenbund gegeben
find. Wenn das Reich von den drei für seine Qualifikation als Bundes-
staat maßgebenden Faktoren zwei nicht besäße und nur den einen, auf den das
Hauptgewicht gelegt wird, die Kompetenz-Kompetenz (Art. 78), aber davon
tatsächlich keinen Gebrauch machte und im übrigen nur über ganz geringe
Kompetenzen verfügte, so wäre es mindestens zweifelhaft, ob man dann das
Reich noch als Bundesstaat bezeichnen könnte; die Bezeichnung wäre dann
ein Titel ohne Inhalt. Noch zweifelhafter wäre es, wenn die Kompetenz-
Kompetenz fehlte und nur einer der beiden anderen Faktoren bei einer sehr
geringen materiellen Kompetenz vorhanden wäre. Mit Rücksicht auf die
tatsächlich gegebene Quantität der Reichskompetenzen ist es allerdings
zweifelsfrei, daß mit dem Reich ein selbständiger Staat geschaffen ist, und
dadurch war die Möglichkeit gegeben, daß dieser neue Bund, nachdem er
einmal errichtet war, der Rechtssphäre der Einzelstaaten entrückt wurde, und
daß die Verfassung, mit welcher der neue Bund in seiner Eigenschaft als
selbständiger Staat und in Ausführung der dem Vertrage der Einzelstaaten
zugrunde liegenden Absichten ausgestattet wurde, den Charakter eines von
dem Willen der Einzelstaaten nicht mehr abhängigen Reichsgesetzes erhielt.
Die dauernde Voraussetzung für die Existenz dieses Bundes, der durch den
Beitritt der Süddeutschen Staaten nur eine Erweiterung und keine Ver-
änderung seiner rechtlichen Natur erfahren hat, bildet jedoch das in dem
Eingang der Verfassung zum Ausdruck gebrachte vertragsmäßige Verhältnis.
Die Bestimmung des Eingangs ist für die Einzelstaaten ein Staatsvertrag
mit der völkerrechtlichen Wirkung eines solchen, daß, soweit der Rechtsinhalt
des Eingangs reicht (nur der erste Satz kommt in Betracht), die Einzelstaaten
wechselseitig gebunden und berechtigt sind. In formaler Hinsicht ist die
Rechtsgültigkeit dieses Vertrages dadurch gewahrt, daß mit dem sonstigen
Inhalt der Verfassung auch diese Bestimmung in den Einzelstaaten nach
den für Landesgesetze wie für Staatsverträge bestehenden Vorschriften unter
Mitwirkung der dazu erforderlichen Organe zustande gekommen ist. Anderer-
seits haben dadurch, daß diese Bestimmung formell einen Bestandteil der
Verfassungsurkunde bildet (und zwar mit der von den Einzelstaaten durch
dieselben Gesetze erteilten Zustimmung) die Einzelstaaten sich dem Reich
gegenüber verpflichtet, einseitig an dem Bündnis nichts mehr zu ändern,
abgesehen davon, daß Veränderungen dieses Bündnisses, die mit der Anderung
einer der im Art. 1—78 der Verfassung ausgedrückten Bestimmungen ver-
bunden sein würden, schon nach der positiven Vorschrift des Art. 78 von
den Einzelstaaten nicht mehr einseitig vollzogen werden könnten. Die Be-
stimmung ist also für die Einzelstaaten Vertragsrecht. Der Vertrag ist
nicht zwischen dem Reich und den Einzelstaaten, sondern zwischen den Einzel-
staaten untereinander geschlossen; jedoch können die Einzelstaaten über dieses