II. Reichsgesetzgebung. Art. 5. 175
den Inhalt dieser Beschlußfassung die Reichsverfassung keine einschränkende
Bestimmung enthält, so hat der Bundesrat die Freiheit anzunehmen oder
abzulehnen. Dieser Unterschied zwischen der Stellung des Bundesrats und
der des Reichstags beruht also auf einer positiven Bestimmung der Reichs-
verfassung; vgl. Laband II S. 31, Meyer § 163 A. 21 S. 586, v. Rönne II 1
S. 49.
d) Gleichberechtigung hinsichtlich der Initiative.
Die Initiative zu einem neuen Reichsgesetz kann ebenso gut vom
Reichstag wie vom Bundesrat ausgehen, und zwar ist, um der anderen
Körperschaft eine Vorlage bez. einen Vorschlag zu machen, ein Mehrheits-
beschluß desjenigen gesetzgebenden Faktors notwendig, von dem die Vorlage,
bez. der Vorschlag ausgeht. Innerhalb des Bundesrats genügt nach Art. 7
Abs. 2 die Stimme eines Bundesglieds, um einen Antrag zur Beschluß-
fassung zu bringen, während für den Reichstag eine entsprechende Be-
stimmung der Reichsverfassung fehlt, so daß die Frage nach Art. 27 R.V.
der Regelung durch die Geschäftsordnung überlassen bleibt; die Geschäfts-
ordnung des Reichstags (8 22 Abs. 1) bestimmt, daß Anträge, die von
Reichstagsmitgliedern ausgehen, von mindestens 15 Abgeordneten unter-
zeichnet sein müssen.
Was die Stellungnahme der einen Körperschaft zu den Initiativ=
anträgen der anderen betrifft, ist für den Reichstag durch dessen Geschäfts-
ordnung (853 Abs. 2) vorgeschrieben, daß der Reichstag über Gesetzesvorlagen
des Bundesrats nicht zur Tagesordnung gehen darf, also eigentlich stets
durch Annahme — sei es mit oder ohne Veränderung — oder durch Ab-
lehnung Stellung nehmen müßte; tatsächlich beschränkt sich allerdings in
nicht wenigen Fällen die Stellungnahme des Reichstags auf Verweisung der
Vorlage in eine Kommission, welche die Vorlage nie erledigt. Ob dieses
Verfahren der Tendenz der Verfassung und der Geschäftsordnung entspricht,
ist mindestens zweifelhaft. Umgekehrt muß der Bundesrat nach Art. 7 Ziff. 1
über jeden Beschluß des Reichstags seinerseits Beschluß fassen. Über den
Inhalt dieses vom Bundesrat zu fassenden Beschlusses enthält die Reichs-
verfassung keine Bestimmung. Von Zorn I S. 409 ist deshalb der Schluß
gezogen worden, daß der Beschluß, weil er jeden beliebigen Inhalt haben
kann, auch dahin lauten dürfte, daß in die Beratung des vom Reichstag
vorgeschlagenen Entwurfs nicht einzutreten sei. Dies wird kaum anzunehmen
sein. Denn das Recht des Reichstags, Vorschläge zu machen, hat nur einen
Sinn, wenn der Bundesrat genötigt ist, zu den Vorschlägen Stellung zu
nehmen; die politischen Interessen werden durch die Befugnis des Bundes-
rats, alle diese Vorschläge abzulehnen, genügend gewahrt. Natürlich braucht
aber, wenn die Ablehnung schon aus formalen Gründen, z. B. wegen Un-
zuständigkeit des Reichs erfolgen muß, nicht erst in eine sachliche Prüfung
des Antrags eingetreten zu werden.
Weder der Bundesrat noch der Reichstag brauchen Gründe für die
Ablehnung oder Abänderung der ihnen vorgelegten, bez. vorgeschlagenen
Gesetzentwürfe anzugeben.
Ebenso wie nur der Reichstag in seiner Mehrheit, nicht einzelne Mit-
glieder an den Bundesrat Vorschläge richten dürfen und eine geringere Zahl
von Abgeordneten sich mit ihren Initiativanträgen nur an das Plenum
des Reichstags und nicht an den Bundesrat wenden können, so kann der