178 II. Reichsgesetzgebung. Art. 5.
beschlossen waren, von dem Bundesrat gemäß Abt. 7 Ziff. 1 R.V. er-
ledigt worden. Die Frage gewann insbesondere praktische Bedeutung
und wurde eingehend erörtert, als der Bundesrat i. J. 1904 auf die
während einer früheren Legislaturperiode i. J. 1899 vom Reichstage
beschlossene Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes zurückkam. Der
Bundesrat verabschiedete den Entwurf und u. d. 8. März 1904 R. G. Bl.
S. 139 wurde das Gesetz verkündet. In der Reichstagssitzung v. 14. April
1904 erklärte der Staatssekretär des Reichs-Justizamts Nieberding St. B.
2082:
„Der Bundesrat ist verfassungsmäßig verpflichtet, solange ein Beschluß
des Reichstags besteht, solange der Präsident des Hauses den Verbün-
deten Regierungen nicht mitgeteilt hat, daß der Beschluß geändert oder
aufgehoben sei, Stellung zu dem Beschluß zu nehmen; tut er dies, so
kann ihm niemals vorgeworfen werden, daß er verfassungswidrig gehandelt
hat —
Seit der Errichtung des Reichs steht die Reichsverwaltung und stehen
die Verbündeten Regierungen und auch der Reichstag auf dem Stand-
punkte, daß ein Beschluß des Reichstags solange eine reale politische
und rechtliche Potenz in unserem Verfassungsleben ist, mit welcher der
Bundesrat zu rechnen hat, als der Reichstag nicht selbst dem Bundesrat
erklärt, daß er auf seinen Beschluß verzichte."
Der Regierungsvertreter hat dann ausgeführt, daß zurzeit der Ema-
nation der Reichsverfassung in Deutschland verschiedene Landesverfassungen
bestanden hätten, in denen die Befugnisse der Regierung gegenüber einem
Beschlusse des Landtages zeitlich beschränkt gewesen seien, sodaß mit dem
Ablauf einer gewissen Zeit die Regierungen nicht mehr das Recht gehabt
hätten, den Beschluß zum Gesetz zu erheben, daneben aber auch andere
Verfassungen, insbesondere die preußische, in denen solche Schranken nicht
gesetzt seien. Dem letzteren Standpunkte habe die Reichsverfassung sich
angeschlossen; Fürst Bismarck und der Präsident des Reichskanzleramts
Delbrück hätten diese Auffassung geteilt. Dieser Standpunkt entspricht in
der Tat dem geltenden Recht. Denn eine zeitliche Beschränkung ist für
die Gültigkeit der Reichstagsbeschlüsse mit keinem Wort in der Verfassung
ausgedrückt oder auch nur angedeutet. Ein entsprechendes Gewohnheits-
recht besteht nicht; die bisherige Praxis spricht eher für das Gegenteil einer
solchen Gewohnheit. ÜUbrig bleibt deshalb nur noch die Frage, ob innere
aus dem Geist der Reichsverfassung und der konstitutionellen Bedeutung
des Reichstags zu entnehmende Gründe gegen das Verfahren der Reichs-
verwaltung sprechen. Auch diese Frage ist zu verneinen. Im Gegenteil,
der (unter a—-e näher ausgeführte) von allen Anhängern des konstitutio-
nellen Prinzips anerkannte Grundsatz, daß Bundesrat und Reichstag, soweit
es sich um die Teilnahme an der Gesetzgebung handelt, gleichberechtigt sind,
enthält eine weitere Konsequenz darin, daß die Beschlüsse des Bundesrats
ebenso wie die des Reichstags unabhängig sind von einem nachträglichen
Wechsel der Personen; auch bei den Landesregierungen kann ein Wechsel.
in der Person des Landesherrn oder der leidenden Staatsminister bezüglich
der oder jener schwebenden Frage der Gesetzgebung einen Wechsel der An-
schauung und damit einen Wechsel in der den Bundesratsbevollmächtigten
erteilten Instruktion zur Folge haben, aber unzweifelhaft ist dies gegenüber