Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

III. Bundesrat. Art. 6. « 193 
zu der des ehemaligen Bundestages bedeutend erweitert, entsprechend der 
Tatsache, daß das neue deutsche Reich eine viel engere Verbindung bildet, 
als der alte Deutsche Bund. Die politische Lage, die vor der Gründung 
des Reichs, bez. des Norddeutschen Bundes bestand, brachte es ohne weiteres 
mit sich, daß gerade diese Einrichtung des alten Deutschen Bundes in den 
neuen Bund übernommen wurde. Der Norddeutsche Bund als Vorläufer 
des Reichs verdankte seine Entstehung in erster Reihe der diplomatischen 
Aktion, die Preußen Anfang der Sechziger Jahre einleitete — vgl. nament- 
lich die Denkschrift des preußischen Staatsministeriums v. 15. Sept. 1863, 
Staatsarchiv Bd. VIII S. 206f. —, wenn man von der durch alle gebildeten 
Kreise des damaligen Deutschlands gehenden Einheitsbewegung absieht, die 
zwar eine gewaltige werbende und begeisternde Kraft besaß und für den Ent- 
schluß der Fürsten sich zu einigen zweifellos einen starken Impuls gegeben, 
aber nicht unmittelbar zu politischen Taten geführt hat; sucht man die 
rechtshistorischen Grundlagen für die Reichsverfassung, so ist bis auf die 
diplomatische Aktion der preußischen Regierung von 1863 ff. zurückzugehen. 
Preußen verlangte damals die Reform des Deutschen Bundes durch Einführung 
einer Volksvertretung, Abschaffung des Prinzips der Einstimmigkeit bei den 
Beschlüssen der Bundesversammlung und Erweiterung der Kompetenz des 
Bundes; vgl. Laband ! S. 213. Dieser Plan wurde festgehalten, als die 
durch den Krieg von 1866 geschaffene neue politische Lage es endlich ge- 
stattete, daß Preußen das Reformwerk verwirklichte. Man hat also nicht 
daran gedacht, den Bundestag, das Vorbild des Bundesrats, abzuschaffen, 
sondern es sollte ihm nur in Gestalt der Volksvertretung ein zweites Organ 
gegenübergestellt und damit die Unterlage für eine engere Verbindung der 
Staaten, d. h. für eine Erweiterung der Kompetenz des Bundes geschaffen 
werden. Als dann in Konsequenz des Augustbündnisses von 1866 die 
Kommissare der deutschen Regierungen im Winter 1866 sich in Berlin zur 
Beratung des von Preußen vorgelegten Verfassungsentwurfs vereinigten, 
bildeten sie ein Kollegium, das seiner politischen wie seiner juristischen 
Stellung nach ziemlich genau der Bundesversammlung des alten deutschen 
Bundes entsprach. Denn dieses Kollegium bestand, wie Laband a. a. O. 
S. 213 mit Recht bemerkt, aus den „zu einem Kongreß vereinigten, nach 
Instruktionen stimmenden und beschließenden Bevollmächtigten völkerrechtlich 
verbundener Regierungen.“" Man behielt diesen Kongreß als ständige Ein- 
richtung einfach bei, und so entstand der Bundesrat, natürlich mit einer 
den neuen Aufgaben des Norddeutschen Bundes entsprechenden starken Er- 
weiterung seiner Kompetenz und einer sich daraus ergebenden gewissen Ver- 
änderung seiner staatsrechtlichen Stellung; vgl. auch Zorn S. 149. 
2. Der Bundesrat ist weder ein reiner Gesandtenkongreß 
noch ein Reichsministerium. 
Die Bundesversammlung des alten deutschen Bundes war ein Gesandten- 
kongreß und auch jetzt besindet sich jeder Bundesratsbevollmächtigte im 
Verhältnis zu der Regierung seines Bundesstaats gleichsam in der Lage 
eines beim Reiche akkreditierten Gesandten. Aber der Bundesrat als Ganzes 
ist seiner staatsrechtlichen Stellung nach mehr als ein Gesandtenkongreß. Er 
ist als gesetzgebende Körperschaft ein dem Reichstage gleichberechtigtes Organ 
des Reichs, weil gemäß Art. 5 R.V. die Reichsgesetze auf übereinstimmenden 
Damottsch, Deutsche Relchsverfassung. 13
	        
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