III. Bundesrat. Art. 6. 205
„Das Bundesverhältnis ist undenkbar, sobald der mächtigste Staat
im Bunde und das Präsidium an sich die Majorität haben würde. Es
muß so bleiben, daß in Fragen, welche Unbilligkeiten, ich will nicht sagen:
Vertragsverletzungen enthalten und welche deshalb von den Staaten außer-
halb des Präsidiums ziemlich einstimmig würden verurteilt werden, die
außerhalb des Präsidiums stehenden Staaten wenigstens imstande find,
eine Majorität zu bilden.“
In dieser Einrichtung liegt zugleich die beste Garantie für die Erhaltung
der Selbständigkeit der Einzelstaaten und ein wirksames Gegengewicht für
die theoretisch fast unbegrenzte Möglichkeit der Erweiterung der Reichs-
kompetenz, wie sie durch Art. 78 R.V. zugelassen ist.
Natürlich kann der Umstand, daß die Stimmen nicht in der dem Ge-
wicht der Interessen und der tatsächlichen Macht entsprechenden arithmetischen
Proportion verteilt find, auch unerwünschte Erscheinungen zur Folge haben.
So amendierte i. J. 1879 der Bundesrat den Entwurf des Reichsstempel-
abgabengesetzes, indem er mit 30 Stimmen, die eine Bevölkerung von 7½
Millionen vertraten, gegen 28 Stimmen mit einer Bevölkerung von über
38 Millionen die Stempelabgabe für Ouittungen über Postanweisungen und
Postvorschußsendungen ablehnte; val. v. Poschinger, Fürst Bismarck als
Volkswirt 1 S. 162. Doch find solche Fälle sicherlich vereinzelt. Auch ist
Preußen stets der Möglichkeit ausgesetzt, daß namentlich in Finanzfragen,
in denen eventuell die Interessen Preußens in anderer Richtung laufen als
die der kleineren Staaten, sich Koalitionen zwischen dem Reichstag und den
über die Mehrheit der Stimmen verfügenden Vertretern der kleineren Staaten
bilden, aber dies sind unvermeidliche Begleiterscheinungen der aus inneren
Gründen gerechtfertigten Verteilung der Stimmen, die Art. 6 bestimmt hat.
V. Die Beteiligung Elsaß-Lothringens am Bundesrat.
Elsaß-Lothringen ist im Art. 6 nicht genannt, weil es nicht ein Bundes-
staat, sondern nur eine Provinz des Reichs ist. Bis zum Jahre 1879
war es im Bundesrat überhaupt nicht vertreten. Nach dem Ges. betr. die
Verfassung und Verwaltung von Elsaß-Lothringen v. 4. Juli 1879 R.G. Bl.
S. 165 § 7 ist der Statthalter ermächtigt, „zur Vertretung der Vorlagen
aus dem Bereiche der Landesgesetzgebung sowie der Interessen Elsaß-
Lothringens bei Gegenständen der Reichsgesetzgebung“ Kommissare abzuordnen,
die an den Beratungen des Bundesrats und seiner Ausschüffe über diese
Angelegenheiten teilnehmen. Eine beschließende Stimme haben sie nicht.
Nach § 5 der Gesch. O. des Bundesrats können diese Kommissare auch im
Verlaufe der Diskussion eines auf die Tagesordnung gesetzten Gegenstandes
Anträge stellen und mit Referaten beauftragt werden — vgl. Laband I
S. 218 A. 2.
Über die staatsrechtliche und politische Bedeutung dieser Ergänzung
des Art. 6 R.V. hat Fürst Bismarck bei der Beratung des Gesetzes v.
4. Juli 1879 in den Reichstagssitzungen v. 21. u. 27. März 1879 St. B.
565a und 669f. sich eingehend geäußert und insbesondere ausgeführt, daß
die Beteiligung Elsaß- Lothringens am Bundesrat mit vollem Stimmrecht
im Ergebnis zu einer Vermehrung des preußischen Einflusses im Bundesrat
führen müßte, da es nicht angängig sei, einem nicht mit dem Charakter