III. Bundesrat. Art. 6. 209
änderungen vorgeschrieben ist, genommen werden. Daß Waldeck die
Stimme ruhen lasse, steht allerdings jeden Tag im Belieben des Fürsten,
aber einen bindenden Vertrag darüber abzuschließen, das würde nichtig
sein.“
Fürst Bismarck verlangt also — abgesehen von der hier nicht in Be-
tracht kommenden Frage der Zustimmung des beteiligten Staates — ein
die Verfassung änderndes Reichsgesetz, wenn die Stimme eines Bundesstaats
verschwinden soll, weil der betreffende Staat seine staatliche Selbständigkeit
verliert, und man kann aus seinen Ausführungen unschwer folgern, daß sie
sich nicht nur auf den Spezialfall Preußen-Waldeck, sondern auf jeden Fall
einer Realunion beziehen, mit welcher der durch den Administrativ-Vertrag
für Preußen und Waldeck geschaffene Zustand in einer gewissen Ideal-
konkurrenz steht. Es ist zweifellos richtig, daß wenn aus irgend welchen
Gründen, z. B. infolge einer Realunion, die Stimme eines Bundesstaats
fortfallen soll, dies nicht abgeht ohne Anderung des klaren Sinns und
Wortlauts der Reichsverfassung. Dasselbe gilt, wenn im Falle der
Realunion die Stimme nicht verschwindet, sondern bei der neuen Staaten-
gemeinschaft bleibt. Denn Art. 6 setzt nicht nur die Gesamtzahl der Stimmen,
sondern auch deren Verteilung auf die einzelnen Bundesstaaten fest, und
deshalb wird sein Sinn verändert, wenn infolge einer Realunion ein Staat
mehr Stimmen, ein anderer gar keine mehr führen soll. Da es aber
einzelnen Bundesstaaten unmöglich gestattet sein kann, durch ein wechsel-
seitiges Abkommen ohne Zuziehung der anderen Bundesstaaten die Reichs-
verfaffung abzuändern oder einen tatsächlichen Zustand herbeizuführen, der
einzelne Bestimmungen der Reichsverfassung, z. B. die des Art. 6 unausführ-
bar erscheinen läßt, so folgt daraus auch, daß ohne die verfassungsmäßige
Anderung des Art. 6 eine Realunion zwischen zwei Bundesstaaten nicht
zulässig ist. In der Literatur ist die Frage bestritten; vgl. Meyer § 146
A. 17 S. 593.
Bei der Personalunion ist die Rechtslage zweifelhafter Denn hier
bleibt die staatliche Selbständigkeit erhalten, und es tritt in der Dynastie
eine Anderung ein, ein Fall, der sich namentlich durch Erbfolge ergeben
kann. Für den alten deutschen Bund bestimmt in solchem Falle Art. VI
der Wiener Schlußakte (Ges. S. 1820 S. 118 ff.):
„Veränderungen in dem gegenwärtigen Besitzstande der Bundesglieder
können keine Veränderungen in den Rechten und Verpflichtungen der-
selben in Bezug auf den Bund ohne ausdrückliche Zustimmung der Ge-
samtheit bewirken.“
Ferner kommt die Vorschrift des Art. XXI in Betracht:
„Wenn die Besitzungen eines souveränen deutschen Hauses durch Erb-
folge auf ein anderes übergehen, so hängt es von der Gesamtheit des
Bundes ab, ob und inwiefern die auf jenen Besitzungen haftenden
Stimmen im Plenum, da im engeren Rat kein Bundesglied mehr als
eine Stimme führen kann, dem neuen Besfitzer beigelegt werden sollen."
Es war also ein Beschluß der Gesamtheit des Bundes notwendig, und
zwar bedurfte es der „Stimmeneinhelligkeit“ — ebenso v. Rönne I S. 198,
vgl. Meyer §8 42 A. 16 S. 117, Arndt S. 91. Die Reichsverfassung ent-
hält keine entsprechende Bestimmung, und es ist zuzugeben, daß durch eine
Personalunion der Wortlaut des Art. 6 nicht unmittelbar betroffen wird.
Dambitsch. Deutsche Reichsverfassung. 14