III. Bundesrat. Art. 7. 219
Fälle, in denen sich das Reichsgericht mit der Frage beschäftigt hat, ob
sogen. Rechtsvorschriften, die der Bundesrat erlassen hat, rechtsgültig sind:
Urt. des 4. Cs. v. 25. Nov. 1897 Bd. 40 S. 68 und Urt. des 3. Cs. v.
26. März 1901 Bd. 48 S. 84. Es handelte sich in beiden Fällen um
Ausführungsvorschriften zu dem Reichsgesetz betr. die Pensionierung und
Versorgung der Militärpersonen v. 27. Juni 1871 R.G.Bl. S. 275, dessen
8 77 Abs. 1 bestimmt:
„Die Subaltern= und Unterbeamtenstellen bei den Reichs= und
Staatsbehörden, jedoch ausschließlich des Forstdienstes, werden nach Maß-
gabe der darüber von dem Bundesrate festzustellenden allgemeinen Grund-
sätze vorzugsweise mit Invaliden besetzt, welche den Civilversorgungsschein
besitzen.“
Da hier eine klare Ermächtigung zum Erlaß von Ausführungsvor-
schriften für den Bundesrat gegeben ist, hatte das Reichsgericht keine Ver-
anlassung auf die Frage einzugehen, ob auch ohne diese Ermächtigung der
Bundesrat zum Erlasse derselben Vorschriften befugt gewesen wäre. In dem
erstgenannten, älteren Urteile findet sich die Bemerkung (S. 70):
„Nun soll dem Berufungsgerichte darin nicht entgegengetreten werden,
daß es zur gültigen Erlassung von Rechtsverordnungen durch den Bundes-
rat auch angesichts des Art. 7 Ziff. 2 der R.V. einer besonderen reichs-
gesetzlichen Ermächtigung für den Bundesrat bedarf. Dagegen ist die
Ansicht des Berufungsgerichts zu beanstanden, daß im § 77 des Reichs-
gesetzes v. 27. Juni 1871 keine Delegation für den Bundesrat zum Er-
lasse einer ergänzenden Rechtsverordnung, auch in den vom Bundesrat
beschlossenen Grundsätzen selbst keine derartige Verordnung enthalten sei.“
Der Ansicht des Berufungsgerichts, die dem von Laband u. a. ver-
tretenen Standpunkt entspricht, tritt also das Reichsgericht nicht entgegen,
weil es keine Veranlassung hat, zu der Frage Stellung zu nehmen, mit
anderen Worten: eine Entscheidung über die Frage wird nicht gegeben.
In einem Urteil des 7. Cs. v. 5. Mai 1903 Bd. 55 S. 145 ist die
Frage geprüft, ob die Eisenbahndirektionen in Preußen mit bahnpolizei-
licher Gewalt ausgestattet sind. Die Urteilsgründe enthalten, nachdem Aus-
führungen über das Wesen der Bahnpolizei vorausgegangen find, folgende
Stelle (S. 150):
„Auf Grund der Art. 42, 43 und 7 Ziff. 2 der R.V. nimmt der
Bundesrat das Recht in Anspruch, inbetreff der deutschen Eisenbahnen
die Bahnpolizei unmittelbar selbst durch Erlassung allgemeiner einheit-
licher Vorschriften auszuüben, und hat dieses in Anspruch genommene
Recht durch Erlassung verschiedener bahnpolizeilicher „Ordnungen“ be-
tätigt. Soweit hierdurch keine Beschränkungen gegeben find, ist die
Bahnpolizei als Stück der Staatshoheit den Einzelstaaten verblieben."“
Nun enthalten die Art. 42, 43 R.V. unzweifelhaft keine Ermächtigung
für den Bundesrat zum Erlasse bahnpolizeilicher Vorschriften; es bleibt also
nur Art. 7 Ziff. 2 als gesetzliche und verfassungsmäßige Grundlage dieser
Befugnis und keine andere Annahme übrig, als daß der Bundesrat in den
Art. 42, 43 diejenigen gesetzlichen Vorschriften enthalten findet, die ihm
Veranlassung geben, in Anwendung der ihm durch Art. 7 Ziff. 2 verliehenen
allgemeinen Legitimation Ausführungsvorschriften polizeilicher Art zu er-
lassen, und soweit aus der vorstehenden kurzen Bemerkung der Urteilsgründe