Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

238 III. Bundesrat. Art. 7. 
IV. Nicht gemeinsame Augelegenheiten. 
Art. 7 Abs. 4 bestimmt: 
„Bei der Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche nach den 
Bestimmungen dieser Verfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich 
ist, werden die Stimmen nur derjenigen Bundesstaaten gezählt, welchen 
die Angelegenheit gemeinschaftlich ist.“ 
Diese Bestimmung befand sich in der Verfassung des Norddeutschen Bundes 
noch nicht, sondern wurde erst in der Reichsverfassung hinzugefügt. Für 
ihre Auslegung sind die in der Reichstagssitzung v. 7. Dez. 1870 St. B. 122 
abgegebenen Erklärungen des Abg. Lasker und des Präsidenten Delbrück 
von Bedeutung. Aus den Verhandlungen geht hervor, daß die Bestimmung 
des 4. Abs. des Art. 7 einschränkend auszulegen ist. Es fallen darunter nur 
diejenigen Angelegenheiten, bei denen die Gemeinschaftlichkeit durch eine 
ausdrückliche Bestimmung der Reichsverfassung oder eines die Reichsverfassung 
abändernden Reichsgesetzes ausgeschlossen ist, und es ist ferner zur Anwendung 
der Bestimmung notwendig, daß für den ganzen Umfang der Angelegenheit 
die Gemeinschaftlichkeit ausgeschlossen ist; es genügt nicht, daß nur etwa 
in der einen oder anderen Beziehung einzelnen Bundesstaaten ein Sonder- 
recht eingeräumt ist. Ausgeschlossen sind danach: 
Bayern für die Heimats= und Niederlassungsverhältnisse gemäß Art. 4 
Ziff. 1 R.V., das Immobiliarversicherungsrecht gemäß Nr. VI des Schluß- 
protokolls zum Vertrage mit Bayern v. 23. Nov. 1870 B.G.B. 1871 S. 23, 
für das Eisenbahnwesen gemäß Art. 42— 46 R.V. mit der im Art. 46 
Abs. 3 und Art. 47 bestimmten Ausnahme; 
Bayern und Württemberg für das Post= und Telegraphenwesen gemäß 
Art. 52 Abs. 4 R.V. 
Bayern, Württemberg und Baden für die Besteuerung des inländischen 
Bieres gemäß Art. 35 Abs. 2 und 38 Abs. 4 R. V. Die Ausnahme für 
Branntwein ist durch die spätere Reichsgesetzgebung beseitigt — R.G. B. 
1887 S. 485, 489, 491. — Über die Frage, ob eine Ausnahme für die 
auf Erhöhung der Biersteuer abzielende Beschlußfassung zuzulassen ist, weil 
eine Erhöhung dieser Steuer zugleich eine Erhöhung der von den Süd- 
deutschen Staaten zu zahlenden Aversa zur Folge hat, val. Art. 35. 
Auch Beschlüsse des Bundesrats, die nur einen Teil des Bundesgebiets 
oder der Bundesglieder betreffen, sind, abgesehen von den vorgenannten Aus- 
nahmefällen, von sämtlichen Mitgliedern des Bundesrats zu fassen, weil 
die Begrenzung der Wirksamkeit des betreffenden Beschlusses nicht auf einer 
Verfassungsbestimmung beruht und demzufolge Art. 7 Abs. 4 nicht anwendbar 
ist — ebenso Laband ! S. 228, v. Rönne I S. 205f., v. Seydel S. 147 f., 
Zorn 1 S. 151, Arndt S. 95. 
V. Die Form der Abstimmung. 
Für den Reichstag gilt nach Art. 28 die Bestimmung, daß zur Gültigkeit 
der Beschlußfassung die Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl 
der Mitglieder erforderlich ist. Für den Bundesrat fehlt es an einer 
entsprechenden Bestimmung. Deshalb ist anzunehmen, daß es zu einem 
gültigen Beschluß des Bundesrats weder der Anwesenheit der Mehrheit der
	        
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