III. Bundesrat. Art. 7. 243
konstitutionellen Standpunkt aus als Unbilligkeit für die Interessen des
Volks empfunden werden könnte. Denn die Opfer an Macht und Einfluß,
welche die Regierungen wie die Parlamente der Einzelstaaten mit der Gründung
des Reichs gebracht haben, finden ihre Kompensation für die Volksvertretung
darin, daß der Einfluß, der ihr im Landtage entgeht, im Reichstage ersetzt
wird; andererseits entspricht es dem Prinzip der Verträge, auf denen das
Reich beruht, daß die Regierungen im Bundesrat ihre Entschädigung er-
halten. In Ansehung des Verfassungsrechts der Einzelstaaten würde die Mit-
wirkung der Landtage bei der Instruierung der Bundesratsbevollmächtigten
praktisch dahin wirken, daß der Landtag in umfassendem Maße Verwaltungs-
aufgaben erhält, da die Verwaltungstätigkeit des Bundesrats mit seiner
gesetzgebenden Tätigkeit in einem engen und notwendigen Zusammenhange
steht, und damit würde ebenfalls eine Verschiebung der gegebenen verfassungs-
mäßigen Grundlagen verbunden sein.
Auch in den Kammern der Abgeordneten der süddeutschen Staaten
Bayern, Württemberg und Baden ist übrigens in den Jahren 1871, 1872
und 1896 derselbe Anspruch — ebenfalls ohne Erfolg — geltend gemacht
worden; vgl. v. Seydel S. 133.
Wenn man die Frage unter Opportunitätsrücksichten prüft, ist auch
in Betracht zu ziehen, daß die Verbindung mit dem Landtage in vielen
Fällen nicht rechtzeitig herzustellen sein wird. Es mag zutreffen, wie
Laband a. a. O. ausführt, daß der letztere Gesichtspunkt keine Rolle spielt,
wenn es sich um die Aufhebung des Sonderrechts eines Einzelstaats, also
um eine von der Regierung gemäß Art. 78 Abs. 2 R.V. abzugebende positive
Erklärung handelt, mit der die Regierung wegen Zeitablaufs nicht präklu-
diert werden kann, aber die anderen dargelegten Gründe finden auch hier
Anwendung, obwohl die Erklärung staatsrechtlich von dem Akte der Gesetz-
gebung, der die Veränderung der Reichsverfassung zu Wege bringt, zu
trennen ist. Die Mitwirkung, die der Volksvertretung bei der Aufhebung
eines derartigen Rechts verfassungsmäßig zusteht, liegt dem Reichstag ob.
Neben ihm kommt, abgesehen von der beteiligten Regierung selbst, nur der
Bundesrat zum Wort, und wenn außerdem noch die Entscheidung von der
Zustimmung des Landtages des betreffenden Staates abhängig gemacht
werden soll, treten alle aus der Reichsverfassung hergeleiteten Bedenken
in Kraft.
Als der preußische Staatsrat im Jahre 1884 einberufen wurde, war
beabsichtigt — wie aus der Eröffnungsrede des damaligen Kronprinzen her-
vorgeht (Horst Kohl Die politischen Reden des Fürsten Bismarck Bd. 10
S. 229) — von dem Staatsrat u. a. auch Gutachten über die Abgabe der
preußischen Stimmen im Bundesrat in Sachen der Reichsgesetzgebung zu
erfordern „so oft die Bedeutung des Gegenstandes dies angemessen erscheinen
ließ". Hieraus ergibt sich natürlich kein irgendwie für den Anspruch, der
im Abgeordnetenhause erhoben wurde, zu verwertendes Präjudiz. Der
Staatsrat ist unbeschadet dessen, daß er nach seiner Zusammensetzung be-
fähigt ist, über ein hohes Maß politischer Einsicht und Erfahrung zu ver-
fügen, im Verhältnis zur Krone eine abhängige Staatsbehörde, und es
ist ausgeschlossen, daß aus seiner Heranziehung zur Erstattung von Gut-
achten über die Instruierung der Bundesratsbevollmächtigten sich eine
Paralyfierung der Macht der Krone ergeben könnte.
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