IV. Präsidinm. Art. 11. 269
Den Fürsten ist für die Hoheitsrechte, die sie zugunften des Reichs auf-
gegeben haben, Ersatz durch ihre Beteiligung am Bundesrat geboten worden,
und der Bundesrat ist nicht nur mit dem Recht zur Mitwirkung bei der Gesetz-
gebung, sondern auch mit umfangreichen Verwaltungsbefugnissen ausgestattet
worden. Die Verfasfung hat die Zentralisierung in einer Hand nur für
diejenigen Staatsaufgaben durchgeführt, in Ansehung deren ein sofortiges
Eingreifen der Exekutive geboten ist: auswärtige Politik, Post und Telegraphie
und desgleichen für das Gebiet, auf dem nur Befehl und Gehorsam möglich
ist und nur ein Wille regieren kann — für die Armee.
II. Der Titel „Deutscher Kaiser.“
In der Verfaffung des Norddeutschen Bundes lautete der erste Satz
des Art. 11 nur:
„Das Präfidium des Bundes steht der Krone Preußen zu.“
Den Titel eines Deutschen Kaisers kannte die Norddeutsche Bundes-
verfassung nicht. Seine Wiedereinführung beruht auf dem übereinstimmenden
Entschluß aller Deutscher Bundesfürsten. Den Anlaß gab der gewaltige
Machtzuwachs, den der Bund durch den Beitritt der Süddeutschen Staaten
erfuhr. Als Wortführer der außerpreußischen Bundesfürsten richtete unter
d. 30. Nov. 1870 der König von Bayern an den König von Preußen nach-
stehendes Schreiben (St. B. der a. o. Sess. v. 1870 B. II. S. 76);
„Nach dem Beitritte Süddeutschlands zu dem Deutschen Verfaffungs-
bündnis werden die Euerer Majestät übertragenen Präsidialbefugnisse über
alle Deutschen Staaten sich erstrecken. Ich habe Mich zu deren Ver-
einigung in Einer Hand in der überzeugung bereit erklärt, daß dadurch
den Gesamtinteressen des deutschen Vaterlandes und seiner verbündeten
Fürsten entsprochen werde, zugleich aber in dem Vertrauen, daß die dem
Bundespräfidium nach der Verfassung zustehenden Rechte durch Wieder.
herstellung eines Deutschen Reichs und der Deutschen Kaiserwürde als
Rechte bezeichnet werden, welche Euere Majestät im Namen des gesamten
deutschen Vaterlandes auf Grund Einigung seiner Fürsten ausüben. Ich
habe Mich daher an die deutschen Fürsten gewendet mit dem Vorschlage,
gemeinschaftlich mit Mir bei Euerer Majestät in Anregung zu bringen,
daß die Ausübung der Präfidialrechte des Bundes mit der Führung des
Titels eines Deutschen Kaisers verbunden werde."“
Staatsrechtlich ift von dem Inhalt dieses Schreibens besonders wesent-
lich die Betonung, daß der König von Preußen die ihm als Chef des Bundes
eingeräumten Rechte nicht unter dem Titel eines Königs von Preußen aus-
üben sollte, sondern unter einem anderen Titel, und als solcher Titel wurde
der des Deutschen Kaisers gewählt. Es ist klar, daß die Ausübung der
Rechte unter dem Namen des Königs von Preußen den Gedanken an eine
Mediatifierung der anderen Bundesfürsten nähergelegt hätte, als es der Fall
war, wenn der König von Preußen bei Ausübung dieser Rechte unter einem
neuen, ihm durch die Einigung der anderen Fürsten geschaffenen Titel auf-
trat. Dem gleichen Gedankengang entspricht es, daß für den Titel nicht
die Bezeichnung „Kaiser von Deutschland“, sondern „Deutscher Kaiser“
gewählt wurde; vgl. Fürst Bismarcks „Gedanken und Erinnerungen“ Kap.
23 IV. Sicherlich lag dem Vorschlage des Kaisertitels nicht der Gedanke