280 IV. Präsidium. Art. 11.
Die letzte Bemerkung ist politisch ebenso richtig, als fie staatsrechtlich
bedeutungslos ist. Denn die Mitwirkung des Bundesrats ist keineswegs
davon abhängig, daß der Bundesrat defenfide, friedliebende Tendenzen ver-
folgt. Dagegen ist es auch staatsrechtlich richtig, daß durch diese Bestimmung
die Stellung des Bundesrats im Prinzip verstärkt ist.
Die Mitwirkung des Bundesrats ist also ausgeschlossen, wenn ein An-
griff auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt. Das Feld, das da-
nach noch für die Zustimmung des Bundesrats übrig bleibt, dürfte praktisch
nicht von allzugroßer Bedeutung sein. Bei europäischen Kriegen wird —
sei es auch nur wegen der unmittelbaren Gefahr, daß der Krieg auf andere
Staaten, als die in erster Reihe beteiligten übergreift und daß diese dann
zum Angriff übergehen — in der Regel ein Angriff auf das Bundesgebiet
so sehr in den nächsten Bereich der Möglichkeit gerückt sein, daß die Be-
stimmung über die Mitwirkung des Bundesrats nicht Platz greifen kann.
Eine Bestätigung, zwar nicht unmittelbar für die hier vertretene Ansecht,
jedoch dafür, daß bei einer für das Reich gefahrdrohenden Lage, wie fie sich
aus Verwicklungen mit großen europäischen Mächten ergibt, die Angriffs-
und Verteidigungsstellung, der Angriffs= und Verteidigungskrieg tatsächlich
nicht mehr auseinander gehalten werden kann, ist in den Ausführungen des
Fürsten Bismarck in der Reichstagssitzung v. 4. Nov. 1871 St. B. 119 zu
finden.
Von diesem Standpunkt aus wird bei europäischen Verwicklungen nicht
leicht der Fall gegeben sein, daß die selbständige Machtvollkommenheit des
Kaisers zur Kriegserklärung ausgeschlossen wäre.
Anders dürfte der Fall bei Kolonialkriegen zu beurteilen sein. Bei
letzteren ist aber zu berücksichtigen, daß wenn der Gegner nicht als krieg-
führende Macht anerkannt wird, es sich nicht um einen Krieg, sondern um
eine einfache, auf eine Unterdrückung von Unruhen gerichtete Verwaltungs-
maßregel handelt, für die der Kaiser allein und unbeschränkt zuständig ist.
Ein Angriff auf das Bundesgebiet liegt nicht vor, wenn die deutschen
Schutzgebiete angegriffen werden; ebenso v. Seydel S. 161, anderer Ansicht:
Arndt S. 704.
Ist hiernach der Wirkungskreis des Bundesrats in Angelegenheiten
der Kriegsbereitschaft nicht sehr groß, so ist das Gewicht dieser Verfassungs-
bestimmung doch nicht zu unterschätzen. Ihre Bedeutung liegt überwiegend
auf immateriellen, prophylaktischem Gebiet. Die Bestimmung ist allein
schon durch ihre Existenz und ohne Rücksicht auf ihre praktische Anwendung
eine gewisse Bürgschaft gegen die Möglichkeit einer etwa nur auf zwei
Augen (Reichskanzler) gestellten aggressiven Politik. In diesem Sinne ist
die oben wiedergegebene Äußerung des Präfidenten Delbrück zu verstehen,
daß die fragliche Vorschrift in erster Reihe dazu bestimmt sei, den defenfiven
Charakter des Reichs zum Ausdruck zu bringen. Noch bestimmter hat dies
Fürst Bismarck in der Reichstagssitzung v. 4. Nov. 1871 St.B. 192 zum
Ausdruck gebracht.
Dem Reichstage selbst ist das Recht, vor der Kriegserklärung auch
nur gehört zu werden, durch die Reichsverfassung nicht eingeräumt, geschweige
denn daß die Kriegserklärung von seiner Zustimmung abhängig gemacht
wäre. Hierfür mögen Gründe verschiedener Art vorgelegen haben. Einen
Grund — die Offentlichkeit der Reichstagsverhandlungen und die sich daraus