292 IV. Präsidium. Art. 11.
„Unberührt bleiben die Bestimmungen der Staatsverträge, die ein
Bundesstaat mit einem ausländischen Staate vor dem Inkrafttreten des
Bürgerlichen Gesetzbuchs geschlossen hat.“
Wie in dem Kommentar von Planck, Bürgerliches Gesetzbuch Art. 56
E.G. Note 2 richtig bemerkt ist, müßte ohne diese Bestimmung die allgemeine
Regel gelten, daß die Staatsverträge der Einzelstaaten wie deren Gesetze
durch ein Reichsgesetz außer Kraft treten, und für die zwischen den Bundes-
staaten unter einander geschlossenen Verträge bewendet es auch dabei.
Dagegen wollte man die Anwendung der Regel für die mit dem Auslande
geschlossenen Verträge — die das internationale Privatrecht betreffen —
ausschließen. Dem Auslande gegenüber bleiben also insbesondere auch die
Verträge der Einzelstaaten über solche Materien in Kraft, die durch das
Bürgerliche Gesetzbuch ausschließlich und erschöpfend geregelt find. Jedoch
können für solche Materien die Einzelstaaten in Zukunft keine Verträge
mehr eingehen, weil ihnen insoweit auch das Recht zur Gesetzgebung ent-
zogen ist. Wohl aber dürfen selbst nach dem Inkrafttreten des Bürgerlichen
Gesetzbuchs die Einzelstaaten noch Verträge über die ihrer Gesetzgebung durch
das E.G. zum B. G. B. vorbehaltenen Angelegenheiten schließen.
Dieselbe Wirkung wie die Reichsgesetze üben Staatsverträge des Reichs
auf die Gesetze und die Staatsverträge der Einzelstaaten aus, d. h die
Verträge des Reichs gehen den Verträgen der Einzelstaaten gemäß Art. 2 R.V.
vor. Gesetze und Verträge der Einzelstaaten, die mit den Verträgen des
Reichs im Widerspruch stehen, find deshalb ipso jure aufgehoben. Gegen-
standslos werden auch diejenigen Staatsverträge der Einzelstaaten, die sich
inhaltlich mit den Staatsverträgen des Reichs decken; val. Art. 6 des Ver-
trages zwischen dem Deutschen Reich und der Osterreich-Ungarischen Monarchie
wegen Beglaubigung der von öffentlichen Behörden und Beamten aus-
gestellten oder beglaubigten Urkunden v. 25. Febr. 1880 R.G.Bl. 1881 S7,
vgl. Hänel, Staatsrecht 1 S. 537 ff., Laband II S. 156— 159, v. Rönne II 2
S. 291, Meyer § 80 A. 14 S. 236, v. Seydel S. 162, Arndt S. 713f,
insbesondere Münch in Hirth's Annalen 1907 S. 161 ff. und 266f. und
die dort pro et contra angeführte Literatur.
III. Die Mitwirkung des Bundesrats und des Reichstags
bei Staatsverträgen des Reichs.
1. Das Sachgebiet ihrer Mitwirkung.
Nach Art. 11 Abs. 3 erstreckt sich das Recht des Bundesrats und
Reichstags zur Mitwirkung beim Abschluß von Staatsverträgen nur soweit,
als die Verträge sich auf Gegenstände beziehen, die nach Art. 4 R.V. in
den Bereich der Reichsgesetzgebung gehören. Art. 4 hat an sich nicht die
Trennung des Gebiets der Gesetzgebung von dem der Verordnung, sondern
die Abgrenzung der Kompetenz des Reichs von der Kompetenz der Einzel-
staaten zum Gegenstande. Andererseits hat die Bestimmung des Art. 11
Abs. 3 die Tendenz zu verhindern, daß das verfassungsmäßige Recht des
Bundesrats und Reichstags zur Mitwirkung bei der Reichsgesetzgebung dadurch
ausgeschaltet werden könnte, daß die Reichsverwaltung ohne Zuziehung der
gesetzgebenden Körperschaften im Wege eines Staatsvertrages Eingriffe in
das der Gesetzgebung gehörige Gebiet vorzunehmen und dadurch die Be-