Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Die serbische 
Antwort an 
Österreich 
164 DIE STIRNLOCKE DER FORTUNA 
süddeutschen Ultramoptanen, hätten gegen den Friedensstörer gezetert. 
Ich glaube, ich hätte zurücktreten müssen.“ 
Im Hochsommer 1914 hatten wir noch am 25. Juli die Möglichkeit, den 
Krieg zu vermeiden. Wir brauchten nur in Wien zu erklären, daß wir unter 
keinen Umständen den Abbruch der Beziehungen zwischen Österreich- 
Ungarn und Serbien gestatteten, bevor wir selbst die serbische Antwort 
genau geprüft hätten. Gehe Österreich-Ungarn ohne unsere Erlaubnis 
militärisch gegen Serbien vor, so tue es dies auf eigene Gefahr, ä ses propres 
risques et p£rils; wir würden ilım in diesem Falle nicht zu Hilfe kommen, 
sondern es seinem Schicksal überlassen. Nach Prüfung der serbischen Ant- 
wort mußten wir öffentlich erklären, wir konstatierten mit Genugtuung, 
daß die serbische Regierung dank den weisen Ratschlägen aller Großmächte 
fast alle österreichischen Vorschläge angenommen habe. Wir schlügen gleich- 
zeitig vor, die noch streitigen Punkte dem Haager Schiedsgericht zu 
unterbreiten. Damit war 9 gegen 1 der Friede gerettet. Das hat der unglück- 
liche Kaiser Wilhelm II. klarer erkannt als Bethmann und Konsorten. 
Um sein Probe- und Meisterstück in der diplomatischen Kunst ungestört 
anfertigen zu können, hatte Bethmann seinem Souverän geraten, die ge- 
wohnte Nordlandreise ja nicht aufzugeben. Auch als die Krisis eich immer 
mehr zuspitzte, bat Bethmann den Kaiser inständig, weder die deutsche 
Flotte aus den norwegischen Gewässern zurückzuziehen, noch selbst in die 
Heimat zurückzukehren. Als ihm fern im Norden, in Odde am Utnefjord, 
die serbische Antwort vorgelegt wurde, schrieb Wilhelm II. ad marginem: 
Er begreife nicht, was die Österreicher mehr wollten; sie hätten einen 
schönen diplomatischen Erfolg erzielt. Gleichzeitig telegraphierte im Auf- 
trage des Kaisers der Generaladjutant Plessen an den Chef des General- 
stabes, Moltke, daß für Österreich-Ungarn jeder Anlaß zum Kriege fort- 
falle, da Serbien die meisten österreichischen Forderungen zugestanden 
habe. Die Alten sagten bekanntlich, daß die Fortuna eine schöne Stirnlocke 
habe, aber einen glattrasierten, kahlen Hinterkopf; wer sie nicht rasch bei 
der Locke ergreife, der hielte sie nicht mehr fest. Bethmann und Jagow 
wußten die Stirnlocke nicht zu fassen. Sie ließen die Österreicher frei 
gewähren. Sie sahen mit apathischer Ruhe und in völliger Indolenz zu, als 
der k. und k. österreichisch-ungarische Gesandte, fast unmittelbar nach dem 
Empfang der serbischen Antwortnote und ohne sie zu prüfen, Belgrad 
verließ und damit die Beziehungen zu Serbien abbrach. Sie ließen es 
geschehen, daß Österreich noch am gleichen Abend die Teilmobilmachung 
gegen Serbien anordnete. Sie wichen, Österreich zu Liebe, um das öster- 
reichische „Prestige“ zu schonen und den Hochmut Seiner Apostolischen 
Majestät nicht zu verletzen, beharrlich allen englischen Konferenz- 
vorschlägen aus und belasteten sich und uns mit dem Schein der Ab-
	        
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