296 IV. Präsidium. Art. 11.
2. Die Zustimmung des Bundesrats und die Genehmigung
des Reichstags.
Die Frage, welche Bedeutung ein ohne die erforderliche Mitwirkung
des Bundesrats und Reichstags vom Kaiser abgeschlossener Staatsvertrag
hat, ob er dem Auslande gegenüber gültig ist oder nicht, ist in der Literatur
bestritten; vgl. Laband II S. 131 A. 1. — v. Seydel S. 163 ff., v. Rönne II
2 S. 296 ff., Zorn 1 S. 502ff. u. a. sind der Ansicht, daß solche Verträge auch
dem Auslande gegenüber ungültig seien, daß also die im Art. 11 Abs. 3
gegebene Regel nicht nur staatsrechtliche, sondern auch völkerrechtliche Wirk-
samkeit habe, während der gegenteilige Standpunkt u. a. vertreten wird von
Laband II S. 129ff., Arndt S. 705 ff., Gneist, Kommissionsbericht des preuß.
Abgeordnetenhauses St. B. 1868, 1869 Bd. UI Nr. 236 S. 1317 ff., Meyer
§ 190 S. 703; vgl. auch Jellinek, Gesetz und Verordnung S. 341f f. Die
praktische Bedeutung der Frage ist gering. Denn nahezu in allen Fällen
werden die Staatsverträge des Reichs erst ratifiziert und endgültig abge-
schlossen, d. h. vom Kaiser unterzeichnet und die Ausfertigungen ausgetauscht,
wenn die entsprechende Vorlage vom Bundesrat und Reichstage in zu-
stimmendem Sinne erledigt ist; vgl. v. Jagemann S. 107. Vereinzelt sind
allerdings Fälle vorgekommen, in denen aus dringenden Zweckmäßigkeits-
gründen Staatsverträge vor der Genehmigung durch den Reichstag ratifiziert
und in Kraft gesetzt werden, da der Reichstag nicht immer versammelt ist
und nicht in allen Fällen um der Genehmigung eines Staatsvertrages
willen sofort einberufen werden kann. Die Reichsverwaltung wird ins-
besondere dann vielleicht einmal die Ratifizierung eines Vertrages ohne
vorausgegangene Genehmigung des Reichstags auf sich nehmen, wenn fsie
nach Lage der Verhältnisse, d. h. mit Rücksicht auf den Inhalt des Ver-
trages und die jeweilig politische Konstellation des Reichstags mit Sicher-
heit auf dessen nachträgliche Genehmigung rechnen kann. Ist dies geschehen
und der Reichstag verweigert doch seine Genehmigung, so ist es fast be-
deutungslos, ob die Reichsverwaltung völkerrechtlich das Reich gegenüber
dem Auslande verpflichtet hat oder nicht. Die Reichsverwaltung ist durch
das gegebene Wort und Unterschrift moralisch dem Auslande gegenüber in
jedem Falle gebunden und kann und will sie den inneren Konflikt mit dem
Reichstag nicht auf sich nehmen, so bleibt ihr nichts anderes übrig als
den Vertrag außer Kraft zu setzen und der auswärtigen Macht zu erklären,
daß sie ihre Zusage mangels der Zustimmung des Reichstags, auf defssen
Widerspruch sie nicht gerechnet habe, nicht einlösen könne. Dem aus-
ländischen Staate ist dann überlassen, welche Schlüsse er ziehen und welche
Maßregeln er ergreifen will; dafür sind natürlich nicht mehr juristische,
sondern nur noch politische Gesichtspunkte anwendbar. Auch wenn das
Reich völkerrechtlich nicht gebunden wäre, kann niemand den ausländischen
Staat hindern, aus der Tatsache, daß die Reichsverwaltung eine förmlich
übernommene, sei es auch das Reich nicht bindende Verpflichtung nicht
erfüllt, Veranlassung zu feindlichen Maßregeln jeder Art zu nehmen.
Immerhin ist nicht zu verkennen, daß sich für die Position der Reichs-
verwaltung im Verhältnis zum Reichstage eine gewisse Stärkung ergibt,
wenn sie der Volksvertretung gegenüber nicht nur durch ihr gegebenes Wort,
sondern auch völkerrechtlich gebunden ist, und darauf kann fie sich in der