298 IV. Präfidium. Art. 11.
weil der Fall, daß die Reichsverwaltung ohne ausreichende Fühlung mit
dem Bundesrat einen Staatsvertrag schließt und dann selbst nachträglich
nicht die erforderliche Zustimmung des Bundesrats erhalten kann, fast
außerhalb des Bereiches der praktischen Möglichkeiten liegt.
In Ansehung des Bundesrats und des Reichstags kann man sich, ab-
gesehen von den aus den Materialien der Verfassung entnommenen Gründen,
vielleicht auch auf die Erwägung stützen, daß es der allgemeinen Tendenz
der Reichsverfassung entspricht, dem Auslande gegenüber das Reich als ein
streng geschlossenes, einheitliches Ganze zu behandeln, in höherem Grade, als
dies von den innerpolitischen Beziehungen des Reichs gilt, und zwar aus
leicht erkennbaren Gründen: Nach außen kommt es auf die Betonung der
geschlossenen, in einem Zentrum vereinigten Macht an, nach innen ist die
auch in den Formen festzuhaltende Anerkennung historisch begründeter und
vertragsmäßig verbürgter Rechte ein für den Zusammenhalt des Reichs sehr
wesentlicher Faktor. Es ist nur eine Außerlichkeit, aber doch bezeichnend
für die Tendenz, daß in den an das Ausland gerichteten Schriftstücken des
Auswärtigen Amts und der diplomatischen Vertreter des Reichs ohne Schen
von einer „Kaiserlichen Regierung“ gesprochen wird, während man für die
inneren Beziehungen des Reichs ein solches Wort vermeidet. Denn es ent-
spricht ebenso sehr der allgemeinen Tendenz der Reichsverfassung wie der im
Art. 11 Abs. 1 gegebenen besonderen Regel, daß dem Auslande gegenüber
der Kaiser als der einzige Vertreter des Reichs auftritt, während inner-
halb des Reichs die verantwortlichen Personen seiner Regierung an die in
der inneren konstitutionellen Verfassung des Reichs wurzelnden Machtfaktoren
— Bundesrat und Reichstag — gebunden sind.
Die Reichsverwaltung ist also dem Auslande gegenüber formell legi-
timiert, auch Staatsverträge, die in das Gebiet der Reichsgesetzgebung fallen,
zu schließen, ist aber konstitutionell — in ihrem Verhältnis zum Bundes-
rat und Reichstag — an dessen Zustimmung gebunden. Den Untertanen
gegenüber werden die Staatsverträge durch ihre gehörige Verkündung im
Reichsgesetzblatt bindend. Sieht sich die Reichsverwaltung, wie es bereits
geschehen ist, aus überwiegenden Gründen der Staatsraison genötigt, den
Vertrag nicht nur zu ratifizieren, sondern auch in Kraft zu setzen, bevor die
Genehmigung des Reichstags beschafft werden kann, so ist es, um den ver-
fassungsmäßigen Zustand wieder herzustellen, notwendig, daß der Reichstag
dem Reichskanzler Indemnität erteilt. Dasselbe gilt für den Bundesrat,
bezüglich dessen die praktische Bedeutung der Frage allerdings geringer ist,
weil nach den bestehenden Verwaltungseinrichtungen dessen Zustimmung, wenn
sie nicht überhaupt grundsätzlich verweigert wird, in der Regel bald zu
erreichen sein dürfte. Dem Reichstage gegenüber ist aber der Fall schon
wiederholt eingetreten, nämlich bei den Handelsverträgen mit Spanien von
1883 und 1894. Durch den Vertrag v. 12. Juli 1883 (R.G.Bl. S. 307)
wurde vereinbart, und zwar vonseiten des Reichs „auf Grund Allerhöchster
Ermächtigung und nach eingeholter Zustimmung der Verbündeten Regierungen“
(vgl. R.G. Bl. S. 304), daß einige Zollermäßigungen in Deutschland alsbald,
also noch ehe der Reichstag den Vertrag genehmigt habe, in Kraft treten
sollten. Dieses Abkommen wurde auch ausgeführt. Laut Bekanntmachung
des Reichskanzlers v. 9. Aug. 1888 (R.G. Bl. 304) sollte schon v. 14. Aug.
1888 ab der deutsch-spanische Handelsvertrag vorläufig in Kraft treten.