312 IV. Präsidium. Art. 12.
Sitzungen unterschieden werden, die der Reichstag, bez. dessen Präsident auf
Grund der Geschäftsordnung festsetzt und die nach dem Sprachgebrauch des
Parlaments ebenfalls Vertagung genannt wird. Nach dieser Richtung be—
stimmt 8 37 der Geschäftsordnung des Reichstags:
„Der Präsident eröffnet und schließt die Sitzung; er verkündet Tag
und Stunde der nächsten Sitzung.“
Diese sogen. Vertagung tritt im Laufe des gewöhnlichen Geschäfts-
ganges ein, wenn die Tagesordnung in der Sitzung nicht erledigt ist oder
wenn die nächste Sitzung wegen Festtagen, Mangel an Verhandlungsstoff
oder aus anderen Gründen um einige Tage hinausgeschoben wird; vol.
Laband l S. 318, Meyer S. 450, Arndt S. 131.
V. Die Schließung.
Der einzige Unterschied zwischen Vertagung und Schließung besteht
darin, daß die Schließung die Kontinuität der Reichstagsgeschäfte unter-
bricht, die Vertagung nicht, und bei der Frage, ob der Reichstag vertagt
oder geschlossen werden soll, kann für die Reichsverwaltung nur die Er-
wägung maßgebend sein, ob sie es für zweckmäßig hält, die Kontinuität
der Reichstagsgeschäfte zu unterbrechen oder nicht. Sie ist hierin frei und
auch durch Beschlüsse des Bundesrats nicht gebunden. Nach dieser Richtung ist
folgende Außerung des Staatssekretärs des Innern Graf Posadowsky-Wehner
aus der Reichstagssitzung v. 12. Dez. 1905 (St.B. 237 C) bemerkenswert:
„In den ersten elf Jahren des Bestehens des deutschen Reichs, wo
die großen gesetzlichen Grundlagen für den Ausbau des Reichs gelegt
wurden, hat eine Vertagung des Reichstags überhaupt nicht stattgefunden,
und da 1898 und 1903 Schluß der Legislaturperiode war, ist seit 1896
überhaupt nur zweimal, nämlich 1897 und 1901 ein Schluß der Session
erfolgt. Die Diskontinuität der Parlamente herbeizuführen, beruht auf
einem wichtigen monarchischen Recht, das verfassungsmäßig die Krone
jederzeit nach ihrem eigenen Ermessen zu üben befugt ist. Alle
die Gesetze, die damals noch nicht erledigt waren, liegen dem Reichstag
jetzt ziemlich unverändert zur Beschlußfassung wieder vor. Es ist hiernach
ganz ausgeschlossen, daß dadurch, daß die Regierung von ihrem Recht
die Diskontinuität Ihrer Verhandlungen (herbeizuführen) Gebrauch ge-
macht, irgend ein sachlicher Schade für die Arbeiten des hohen Hauses
herbeigeführt ist." «
Die Erklärung bezog sich darauf, daß die Reichsverwaltung im Reichs-
tage angegriffen worden war, weil sie die Schließung und nicht die Ver-
tagung des Reichstages angeordnet hatte. In dem Schlusse der Erklärung
ist des einen Grundes gedacht, der — neben anderen — möglicherweise
für die Reichsverwaltung maßgebend sein kann, um die Schließung und
damit die Diskontinuität herbeizuführen. Wenn der Reichstag nach der
Schließung zusammentritt, ist dasjenige Gesetzgebungsmaterial, das ihm nicht
mehr vorgelegt wird, für ihn nicht mehr vorhanden. Ist der Reichsver-
waltung an der Erledigung eines Gesetzentwurfs nichts mehr gelegen, so
kann sie ihn zwar, solange er nicht vom Reichstage verabschiedet ist, jeder-
zeit zurückziehen. Eine förmliche Rücknahme erübrigt sich aber und der da-
mit eventuell verbundene Eklat wird vermieden, wenn die Situation es