Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

320 IV. Präsidium. Art. 15. 
Abgesehen von verschiedenen anderen, im Zusammenhang mit Art. 17 zu 
erwähnenden Amendements beantragte der Abg. v. Bennigsen (Anl. 1867 
Nr. 48 S. 56) im Art. 15 hinter den Worten „Leitung der Geschäfte“ 
einzufügen „des Bundesrats“. Dies hätte bei der damaligen Fassung des 
Entwurfs, der den Art. 17 nicht in seiner jetzigen Gestalt enthielt, zur 
Folge gehabt, daß die anderen, neben den Funktionen des Bundesrats vor- 
handenen Geschäfte der Reichsverwaltung, insbesondere diejenigen, die dem 
Kaiser übertragen find, nicht vom Reichskanzler hätten wahrgenommen 
werden können, da dessen Funktionen allein auf die Geschäfte des Bundes- 
rats beschränkt gewesen wären. Dann hätte für die Leitung der in die 
Kompetenz der kaiserlichen Gewalt fallenden Reichsgeschäfte irgend eine 
andere Reichsbehörde geschaffen werden müssen, und dies war in der Tat die 
Absicht des Antragstellers, der ein Reichsministerium im Auge hatte. Nachdem 
Fürst Bismarck in der Reichstagssitzung v. 27. März 1867 St. B. 388 (die 
Ausführungen sind bei Art. 6 1 2 S. 194 genannt) den Plan eines Reichs- 
ministeriums mit Entschiedenheit bekämpft hatte, wurde das Amendement 
v. Bennigsen abgelehnt. 
Gleichwohl wird von den meisten Schriftstellern des Staatsrechts die 
Meinung vertreten, daß die in dem Antrag Bennigsen enthaltene Absicht, 
den Begriff der „Leitung der Geschäfte“ auf den dem Reichskanzler inner- 
halb des Bundesrats zustehenden Wirkungskreis einzuschränken, im Art. 15 
doch enthalten sei; so u. a. Laband 1 S. 356, Meyer 8 135 A. 5 S. 461, 
v. Seydel S. 170, Zorn 1 S. 160, Arndt S. 686 A. 1, Smend, die Stell- 
vertretung des Reichskanzlers in Hirth's Annalen 1906 S. 321sf. Die 
gegenteilige Ansicht ist nur von Joöl und Hensel in Hirth's Annalen 1878 
S. 402 f bez. 1882 S. 2ff. vertreten worden. 
Die herrschende Meinung weist auf den Zusammenhang hin, 
welchem die Bestimmung stehe, auf ihre Entstehungsgeschichte und ferner 
darauf, daß die Kompetenz des Reichskanzlers in Ansehung seiner ministeriellen 
Geschäfte durch Art. 17 bestimmt sei. Hiergegen ist einzuwenden, daß aus 
dem äußeren Zusammenhang nichts für diese einschränkende Auslegung des 
Wortes „Leitung der Geschäfte“ gefolgert werden kann. Denn einmal steht 
Art. 15 nicht weit vom Art. 17, der sich unstreitig auf die ministerielle 
Kompetenz des Reichskanzlers bezieht. Ferner enthält Art. 15 die erste 
Erwähnung des Reichskanzlers in der Reichsverfassung und es liegt deshalb 
nahe, in diesem Artikel auch eine allgemeine Bestimmung für seinen 
Wirkungskreis zu suchen und zu finden, und endlich ist zu berücksichtigen, 
daß Art. 15 in demjenigen Abschnitt der Reichsverfassung steht, der über- 
schrieben ist „Präsidium“, nicht in dem Abschnitt „Bundesrat“. Dies beweist 
freilich noch nichts nach der positiven Richtung, aber es steht wenigstens 
der Ansicht entgegen, daß schon aus dem Zusammenhang sich die Ein- 
schränkung der Bestimmung auf die Sphäre des Bundesrats ergebe. Was 
die Entstehungsgeschichte des Art. 15 anbetrifft, so ist es richtig, daß in 
dem ursprünglichen Regierungsentwurf Vorschriften über die ministerielle 
Tätigkeit des Reichskanzlers nicht enthalten waren und daß Art. 15 aus 
einer Zusammenziehung der Art. 12 und 16 dieses Entwurfs — allerdings 
nicht ohne Veränderung des Wortlauts — entstanden ist. Aber durch die 
nachträgliche Annahme des Art. 17 und mehr noch infolge der, nicht sowohl 
in der Fassung des Art. 17 als in den hierauf bezüglichen Verhandlungen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.