Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

324 IV. Präsidium. Art. 15. 
Verhältnis so, daß der Reichskanzler, selbst wenn ihm auf seinen Antrag 
ein Generalstellvertreter vom Kaiser bestellt ist, sich noch gemäß Art. 15 einen 
besonderen Stellvertreter für die Geschäfte des Bundesrats bestellen darf. 
Natürlich ist es aber praktisch ausgeschlossen, daß der Reichskanzler von 
dieser Befugnis derart Gebrauch macht, daß er einen von ihm auf Grund 
des Art. 15 Abs. 2 für die Geschäfte des Vorsitzes im Bundesrat bestellten 
Spezialstellvertreter dem für den ganzen Geschäftskreis des Reichskanzlers 
durch kaiserlichen Erlaß bestellten Generalstellvertreter gegenüberstellt, und 
deshalb ist praktisch die dem Reichskanzler durch Art. 15 Abs. 2 verliehene 
Befugnis ausgeschlossen, sobald ihm durch kaiserlichen Erlaß ein General- 
stellvertreter ernannt ist; vgl. Laband 1 S. 256 und S. 357. — v. Seydel 
S. 170 und Zorn S. 162 nehmen abweichend von der hier vertretenen Ansicht 
an, daß auch ein Generalstellvertreter nicht das Recht habe, den Reichskanzler 
bei dem Vorsitz im Bundesrat zu vertreten. Derselben Ansicht scheint 
Arndt S. 686 A. 2 zu sein. Smend in Hirth's Annalen 1906 S. 329 
erklärt die Frage für zweifelhaft. Von diesem Standpunkt aus würde das 
Stellvertretungsgesetz ohne innere Notwendigkeit die Möglichkeit offen lassen, 
daß in dem vom Kaiser für die Ministerialgeschäfte des Reichskanzlers er- 
nannten Generalstellvertreter einerseits und dem Vertreter des Kanzlers im 
Bundesrat andererseits zwei divergierende Faktoren entstünden, ein Fall, 
welcher der ganzen Organisation der Reichsverwaltung unmittelbar zuwider- 
laufen würde. Im Wege der Dienstpragmatik könnte dieser Eventualität 
allerdings noch entgegengewirkt werden, aber es besteht kein Grund anzu- 
nehmen, daß diese so nahe liegende Möglichkeit bei der gesetzlichen Regelung, 
nämlich bei Erlaß des Stellvertretungsgesetzes außer acht gelassen worden 
sein sollte. Ubrigens find bisher alle Generalstellvertreter des Reichskanzlers 
Bundesratsbevollmächtigte gewesen bis auf einen (Graf Stolberg). In 
diesem Falle war der Reichskanzler allerdings genötigt, von dem im § 4 
genannten Vorbehalt Gebrauch zu machen und auf Grund des Art. 15 R. V. 
selbst für seine Stellvertretung im Bundesrate Sorge zu tragen. Für die 
hier vertretene Ansicht kann auch eine Außerung des Staatssekretärs des 
Innern Graf Posadowsky--Wehner aus der Reichstagssitzung v. 14. März 
1901 St. B. 1847 angeführt werden: 
„Nach dem Stellvertretungsgesetz kann nur derjenige Beamte den Reichs- 
kanzler vertreten, der zu seinem Stellvertreter ernannt und außerdem Be- 
vollmächtigter zum Bundesrat ist." 
Damit kann nur der Generalstellvertreter gemeint sein, und der Staats- 
sekretär des Innern, der selbst der Generalstellvertreter des Reichskanzlers 
gewesen ist, muß von der Voraussetzung ausgegangen sein, daß die General- 
stellvertretung sich ohne weiteres auch auf die Geschäfte im Bundesrat zu be- 
ziehen hat, da sonst kein Grund dafür ersichtlich wäre, daß der Stellvertreter 
dem Bundesrat angehören müßte. Der Vorbehalt des Stellvertretungsgesetzes 
für Art. 15 hat aber trotzdem seinen guten Sinn; der Reichskanzler bez. 
sein Generalstellvertreter können für vorübergehende, eine allgemeine Stell- 
vertretung nicht erfordernde Behinderungsfälle nach wie vor sich einen 
besonderen Stellvertreter für die Geschäfte des Bundesrats bestellen. Wie 
v. Jagemann S. 84 aus der Praxis mitteilt, vertritt der Staatssekretär 
des Innern, welcher der Generalstellvertreter des Reichskanzlers ist, diesen 
regelmäßig auch im Bundesrat. Diese Tatsache würde es allerdings an
	        
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