IV. Präsidium. Art. 16. 327
Minister des Kaisers die Vorlagen des Bundesrats an den Reichstag auch
dann bringen muß, wenn er dem Inhalt der Vorlagen nicht zustimmt und
für den Inhalt der Vorlage die Verantwortung nicht übernehmen möchte
— ebenso Laband 1I S. 24 A. 2, Hänel Studien II S. 46 ff., Zorn 1 S. 410,
v. Seydel S. 176, v. Rönne I S. 212, Arndt S. 179.
Ebenso unbestritten ist aber, daß sich die Pflicht des Kaisers nur auf
solche Vorlagen des Bundesrats bezieht, die verfassungsgemäß zustande
gekommen find, und infolgedessen ergibt sich aus Art. 16 R.V. die Befugnis
des Kaisers, das verfassungsgemäße Zustandekommen der Vorlagen des
Bundesrats zu prüfen, in Ergänzung des umfassenderen, nämlich auf die
verfassungsgemäße Entstehung der Reichsgesetze in allen ihren Stadien sich
erstreckenden Prüfungsrechts, das dem Kaiser auf Grund des Art. 2 R.V.
zusteht; vgl. Laband II S. 25, A. 1, Hänel Studien II S. 43 ff., Arndt
S. 179.
Ferner folgt aus Art. 16, daß der Kaiser bei dem Reichstage Vor-
lagen nur nach Maßgabe der Beschlüsse des Bundesrats einbringen kann.
Die Reichsverwaltung darf also nicht von sich aus, ohne Beschluß des
Bundesrats, dem Reichstage eine Vorlage machen und darf auch nicht solche
Vorlagen einbringen, die der Bundesrat abgelehnt oder über die er einen
Beschluß noch nicht gefaßt hat; so Laband IIl S. 25, v. Rönne 1 S. 213,
v. Seydel S. 171, Zorn 1 S. 410. Andererseits ergibt sich aus Art. 16,
daß der Bundesrat seine Vorlagen nicht unmittelbar an den Reichstag
bringen darf, sondern sich dazu der Vermittelung des Reichskanzlers bedienen
muß; ebenso v. Rönne 1 S. 212, Arndt S. 179.
II. Die staatsrechtliche Stellung des Reichskanzlers
bei Übermittelung der Vorlagen.
Wie aus der Fassung des Art. 16 hervorgeht und unter I näher aus-
geführt ist, entspricht es dem positiven Recht der Reichsverfassung, daß im
Namen des Kaisers alle Vorlagen des Bundesrats in der Form, in der
sie vom Bundesrat beschlossen sind, an den Reichstag gebracht werden, ohne
Rücksicht darauf, ob Preußen im Bundesrat überstimmt ist oder nicht.
Unter Berufung auf seine verfassungsmäßige Verantwortlichkeit kann des-
halb der Reichskanzler die Weitergabe nicht ablehnen, vorausgesetzt, daß der
Beschluß des Bundesrats verfassungsmäßig zustande gekommen ist. Die
allgemeine historische und politische Verantwortlichkeit des Reichskanzlers
aber reicht hier ebensoweit wie auf anderen Gebieten, d. h. genau soweit
als sein tatsächlicher Einfluß. Hat also der Reichskanzler die Empfindung
dafür verantwortlich zu sein, daß ein Beschluß des Bundesrats nicht in
seinem Sinne ausgefallen ist, so kann ihn nichts hindern, aus diesem Grunde
seine Entlaffung zu nehmen. Ein Vorgang dieser Art. ereignete sich im
Jahre 1880. Der Bundesrat beschloß unter d. 3. April 1880 mit Stimmen-
mehrheit gegen das Votum von Preußen, Bayern und Sachsen bei der
Beratung des Gesetzentwurfs über die Reichsstempelabgaben, daß Ouittungen
über Postanweisungen und Postvorschußsendungen stempelfrei bleiben sollten.
Der Reichskanzler forderte darauf seine Entlassung „weil er einen gegen
Preußen, Bayern und Sachsen gefaßten Majoritätsbeschluß weder vertreten.
noch in seiner Stellung als Reichskanzler von dem Benefizium Gebrauch