Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

IV. Präsidium. Art. 17. 353 
des Staatssekretärs des Reichsschatzamts, daß der Reichskanzler die Über- 
nahme der Verantwortung durch Aufnahme der justifizierten Posten in die 
auf Grund des Art. 72 R.V. dem Reichstage vorzulegenden Rechnungen 
kundgebe, steht entgegen, daß bei der Rechnungslegung auf Grund des 
Art. 72 R.V. der Reichskanzler nur für die Tatsache der Niederschlagung 
einsteht. Durch die Allerhöchste Ordre ist die nach Art. 72 R.V. erforder- 
liche rechnerische Grundlage geschaffen, aber es ist eine andere Frage, ob 
die Kabinettsordre nicht zu ihrer Gültigkeit der Mitzeichnung des Reichs- 
kanzlers bedarf. Wenn anerkannt wird, daß wegen der Rückwirkung dieser 
Ordres auf die Finanzen des Reichs die Verantwortung des Reichskanzlers 
dafür unentbehrlich ist, so wäre es konsequent, daß der König von Preußen 
die Ordres nicht nur als Chef der preußischen Verwaltung, sondern auch 
als Deutscher Kaiser erläßt, und daraus würde sich ohne weiteres ergeben, 
daß die Ordre nicht nur der Kriegsminister gemäß Art. 44 der preuß. 
Verf. Urk., sondern auch der Reichskanzler gemäß Art. 17 R.V. gegenzeichnet. 
Die Verantwortung des Reichskanzlers erstreckt sich nicht auf die Zweck- 
mäßigkeit der Kabinettsordre, sondern nur auf das Vorhandensein der für 
ihre Zuläsfigkeit erforderlichen staatsrechtlichen Voraussetzungen. Über die 
Zweckmäßigkeit entscheidet der freie Willensentschluß des Monarchen, und 
die Gründe dafur brauchen dem Reichskanzler nicht bekannt zu werden. 
e) Begnadigungs= und Ordenssachen. 
Während im Art. 49 Abs. 1 der preuß. Verf. Urk. bestimmt ist, daß 
der König das Recht der Begnadigung und Strafmilderung hat, fehlt es 
in der Reichsverfassung an einer entsprechenden allgemeinen Vorschrift. Der 
Deutsche Kaiser hat daher das Begnadigungsrecht nur so weit, als es ihm 
durch pofitive Bestimmungen der einzelnen Reichsgesetze vorbehalten ist. Dies 
ist für folgende Fälle geschehen: 
a) für diejenigen Strafsachen, in denen das Reichsgericht in erster 
Instanz erkannt hat, gemäß § 485 St. P.O.; 
b) für die Strafurteile der Marinekriegs= und Bordstandgerichte, gemäß 
§§ 424 ff. Mil. Str. Ger. O. v. 1. Dez. 1898 R. G.Bl. S. 1189; 
Tc) für Sachen der Prisengerichtsbarkeit, gemäß § 27 der V. v. 15. Febr. 
1889 R.G. Bl. S. 5; 
d) für Strafsachen, in denen der Konsul oder das Konsulargericht in 
erster Instanz erkannt hat, § 72 des Ges. v. 7. April 1900 R. G.Bl. 
S. 213; 
e) für Strafsachen, in denen ein Schutzgebietsgericht in erster In- 
stanz erkannt hat, gemäß § 3 des Ges. v. 25. Juli 1900 R. G. Bl. 
S. 812; 
l) für Disziplinarsachen der Reichsbeamten, gemäß § 118 des Reichs- 
beamtengesetzes in der Fassung v. 18. Mai 1907 R.G. Bl. S. 245; 
g) für Strafsachen, in denen ein Gericht von Elsaß-Lothringen in erster 
Instanz erkannt hat, gemäß Art. 1 des noch in Kraft befindlichen 
Senatsbeschlusses v. 25. Dez. 1852; vgl. Laband III S. 489f. 
Begnadigungen sind zwar Regierungsakte des Monarchen, aber von 
einer juristischen Verantwortung kann hier sowenig wie bei den Be- 
gnadigungen, welche die Souveräne der Einzelstaaten anordnen, die Rede 
Dambitsch, Deutsche Reichsverfassung. 23
	        
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